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Sterben soll, was lebt?

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Nachschlag (2012/11)
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Hamburg – Die Stadt hatte einmal einen Namen für die Neue Musik. Als Ligeti an der dortigen Hochschule lehrte, wirkte sein Geist weit über die Stadt hinaus, Geist zog Geist an, eine lebendige Kultur der Unruhe machte sich breit und eine neue Beweglichkeit charakterisierte für eine Weile die Verkehrsregeln des ästhetischen Diskurses und nicht nur des ästhetischen. Das scheint lange her. Nach dem Schub die Stagnation.

 

Das absaufende „Leuchtturmprojekt Elbphilharmonie“ drohte jede weitere Initiative in Sachen Kultur zu strangulieren. Da spross, zunächst fast unbemerkt von Publikum und Presse, ein Gewächs aus dem Hamburger Sand, von dem man nicht so genau wusste, was es werden wollte: die Hamburger Klangwerktage. Nunmehr sieben Jahre alt, hat dieses Gewächs eine stattliche Größe erreicht, es lebt und gedeiht, das Publikum kommt in Scharen und erfreut sich an einem lokalen Musikfes­tival mit überregionalem Profil, wie es in seiner inhaltlichen Ausrichtung nicht so schnell ein anderes in Deutschland gibt. Ein Spezialfestival für Neue Musik ohne „Spezialisten“. Ein Festival für Neue Musik ohne ein „Spezialisten-Publikum“. Es entstand ein Forum für Neues, Junges, Unerprobtes, Riskantes, das gleichwohl das Woher des heute Neuen begreifbar macht. Abseits vom Mainstream konnte das typische Festival-Gehabe sich gar nicht erst entwickeln, bei dem abgebrühte, aber leider eben auch oft verbrühte Neue-Musik-Schlachtrösser (wer kennte sie nicht, die ewig gleichen Namen?) den ewig gleichen Strauß von Komponisten aus dem Notenkoffer zaubern, und – sicher auf technisch hohem Niveau – das Erwartbare als das Unerwartete zelebrieren. Soll das die unveränderbare Zukunft der Neuen Musik sein? Bei den Klangwerktagen hat man vornehmlich auf unverbrauchte und frisch auf das Neue zugehende Musiker gesetzt und es schloss sich ein hör- und wahrnehmungspsychologisch so zwingender Kreis: Die Musik floss von erfahrungsbereiten Solisten, Ensembles, Orchestern zu einem erfahrungshungrigen Publikum. 

Die sieben Hamburger Klangwerktage – die vierten unter der künstlerischen Regie von Christiane Leiste, die immer wieder unvergleichlich inspirierend auf alle Beteiligten wirkt – warfen mit dem Festivalschwerpunkt „Mikrotöne“ und einem angeschlossenen musikwissenschaftlichen Symposium „Ligeti und die Mikrotonalität“ ein erhellendes und Zuhörer in Scharen anlockendes Schlaglicht auf den Kosmos der feinen Unterschiede im Reich des Klingenden. Was im Ligeti-Kreis im Diskurs mit befreundeten Wissenschaftlern verschiedenster Herkunft und in der Auseinandersetzung mit seinen Schülern erst undeutlich, dann immer klarer als zentrales Anliegen hervortrat, war die Frage: Was ist der Ton, was ist „Tonalität“? Diese Frage leitet heute zahlreichen Komponisten Geist und Hand. Vielleicht entsteht ja gerade in der vertieften Auseinandersetzung mit dieser Frage so etwas wie eine neue Neue Musik. Dafür stehen Namen wie Gerad Grisey oder James Tenney, oder aus dem Ligeti-Schülerkreis Wolfgang von Schweinitz oder Manfred Stahnke. Der Festival-Blick blieb aber weit und bezog Komponisten, die einen anderen Zugang zur Frage der „Tonalität“ entwickelten wie Sidney Corbett oder jene, die nicht in einem direkten, persönlichen Bezug zu Ligeti standen, mit ein. Einen kräftigen Kontrapunkt zur Welt der Mikrotöne lieferte der unglaublich direkt und expressiv spielende David Holzman aus New York, der  sich der – Struktur und Ausdruck auf einzigartige Weise zusammenzwingenden – solitären Klavierwerke Stefan Wolpes annahm. Solitär auch der Ges­tus zweier Werke von Elmar Lampson, Direktor der Hamburger Musikhochschule, der sehr eigenwillig die „Materialfrage“ zurückstellt zugunsten einer eindringlichen und überzeugenden Formungskraft, welche seine Musik hinausführt in Regionen existenzieller Einsamkeit. 

Sidney Corbett, Ligeti-Schüler in den 90er-Jahren, schreibt eine Musik von bestürzender Intimität, deren Strukturen ausgesetzt und wie hüllenlos in einem Niemandsland der Zeit zu schweben scheinen: „The immaculate sands“, für großes Orchester (2004) exponiert in vier Sätzen über gut zwanzig Minuten fragile, obertonreiche, selten verdichtete Klänge, pulsierend zwischen Zweier- und Dreier-Einteilung in unendlichen Überlagerungen, oft der Unhörbarkeit ausgesetzt. 

Keine aufgesetzte Dramaturgie durchbricht (verfälscht) den – wie in Ewigkeit – angehaltenen Moment, großartig dargeboten durch die Hamburger Symphoniker unter der musikalisch-lebendigen Leitung von Christian Eggen. Damit aber nicht genug der Überraschungen: Dasselbe Orches­ter feierte geradezu einen Triumph, und mit ihm Komponist und Solisten, mit der Uraufführung des als unspielbar geltenden „Stufengesangs III“ für Solo-Cello (Agnieszka Dziubak), zwei Harfen (Fabrice Pierre, Sophia Steckeler) und großes Orchester von Wolfgang von Schweinitz, Ligeti-Schüler der ers­ten Stunde. Mit dieser Erarbeitung haben sich die sicher nicht als Neue-Musik-Experten geltenden Hamburger Symphoniker quasi zum „Hausorches­ter“ der Klangwerktage entwickelt, wobei in deren Zugriff auf die Stücke von Corbett oder Schweinitz endlich wieder zu spüren ist, dass Neue Musik der „Interpretation“ bedarf, wie jede Musik, nicht nur einer technizistisch verstandenen „Wiedergabe“. 

Also die Klangwerktage „fliegen“. Und nun soll Schluss sein? Gerade jetzt? Die Stadt zeigt sich uninteressiert. Bisher musste das Festival ohne Grundsubvention auskommen, was bedeutet, jedes Jahr wieder von Null anzufangen. Keine Planungssicherheit bis spät in die inhaltliche Konkretisierung hinein. Sieben Mal ging’s dank begeisterter privater Förderer und einem heuer zum ersten Mal betriebenen „crowd-funding“ gut. Nun reicht’s. 

Nachdem sich kein Einlenken durch die Kulturbehörde abzeichnete, hat Leiste das Handtuch geworfen, wie nach dem Festival verlautete. Erfahrungsgemäß zeigen sich Kulturbürokratien durch solche Gesten zunächst unbeeindruckt. Umso eindrücklicher sollte die Reaktion der Öffentlichkeit sein. Es kann nicht sein, dass Lebendiges sterben soll, bloß weil Leuchttürme hochgezogen werden müssen, auf Deubel komm raus.

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