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Stings Wunsch

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Auch Popstars werden älter, und irgendwann wachsen sie in die Rolle von Pensionären der Medienindustrie hinein, denen die kreischenden Teenies nicht mehr scharenweise zu Füßen liegen. Eine Band wie die Rolling Stones scheint das nicht zu kümmern; mit Hilfe von PR-Maschinerie, Lightshow und dichtem Bühnennebel inszenieren sie die Story vom ewig jungen Protestrocker auch noch als Untote des Showbusiness. Der 1951 geborene Gordon Matthew Sumner alias Sting geht einen anderen Weg. Schon mehrfach machte er mit ungewöhnlichen Aktivitäten Schlagzeilen: Als Gutmensch mit seiner Stiftung zum Schutz des Regenwalds, als politisch Engagierter mit seinem Engagement für Amnesty International und als Vortragsredner an Universitäten, was ihm mit zwei Ehrendoktortiteln vergolten wurde. Sein Streben nach Höherem zeigt sich nun wieder in seiner neusten CD mit Liedern von John Dowland.

Für seinen Ausflug in die englische Renaissancemusik präsentiert er sich optisch entsprechend seriös: ein ernsthafter Mann im reifen Alter, mit forschendem Blick und einer Laute im Arm. Seine Firma, die Deutsche Grammophon, stellt diesen Eindruck ins Zentrum ihrer aufwendigen PR-Kampagne. Ein durch Klassik veredelter Popstar, ein neues Geschäftsmodell? Bildet doch der flächendeckende Deppensound auf Dauer keine solide Einkommensbasis mehr. Das gleiche Label brachte im Frühjahr schon das zwischen Pop und E-Musik angesiedelte Stilmischmasch des World Music-Komponisten Osvaldo Golijov auf den Markt. Nun lässt es in der Hoffnung auf neue Kundschaft einen Versuchsballon mit historischem Crossover steigen. Aber wer soll diese Dowland-Lieder hören? Die phongestählten Popmusikjünger werden kaum massenhaft Gefallen an den melancholischen Liedern finden, und das Klassikpublikum ist zu anspruchsvoll, um dem eintönigen Gesangsstil des Popsängers mehr als einen Reiz des Exotischen abzugewinnen. Bleiben jene lifestyligen Musikfans, nach denen sich die neuen Klassik-Plätscherwellen der Öffentlich-Rechtlichen sehnen und für die Klassik nur eine Sozialprestige verheißende Farbe unter verschiedenen Musikrichtungen darstellt, die man so eben mal ausprobiert. Heute Prince, morgen Mozart, übermorgen Sting.

Die Schwäche dieses neuen Crossover-Experiments liegt aber nicht im Marketing, sondern im künstlerischen Bereich: Gesangskulturen lassen sich nicht einfach im copy/paste-Verfahren von einer historischen Ebene auf eine andere verpflanzen. Das heute verbreitete undifferenzierte Hören mag sich daran nicht stören, es findet vielleicht gerade diese postmodernen Stilmontage besonders reizvoll: ein unbekannter Komponist, eine irgendwie alt, aber unproblematisch klingende Musik und ein Medienstar als Interpret. Wer hingegen mit der Musik aus der Frühzeit der bürgerlichen Epoche ein wenig vertraut ist, wird von der Indifferenz, mit der Dowlands Lieder heruntergesungen werden, gelangweilt sein.

Man hört einen an handfeste stimmliche Ausdrucksweise gewöhnten Sänger, der Unterricht in Alter Musik genommen hat und seine neuen Kenntnisse nun schülerhaft anwendet: Der Legatogesang wirkt flach, der leicht heisere Ton bildet eine farblich eintönige Dauerpatina, der Ausdruck ist starr und eindimensional. Mit dem gezwungenen Einfachheitsgestus kollidiert ei-ne überzüchtete Aufnahmeästhetik, die die auf natürliches Körpermaß zugeschnittenen Lieder in einen virtuellen Raum einsperrt. Das alles mag für die Popmusik des späten Industriezeitalters passen. Bei der Vokalmusik des 16. Jahrhunderts, in der das frühbürgerliche Subjekt auf der Suche nach sich selbst sein unsicheres Weltgefühl in feinsten musikalischen Nuancen zum Ausdruck bringt, wirken diese Mittel leer, wenn nicht sogar grob.

Da nützt es nichts, wenn Gordon Mat-thew Sumner sich an John Dowland heranschmeißt, indem er ihn zum „first travelling popstar“ und seine Lieder flugs zu Popsongs erklärt. Erfolg als gemeinsamer Nenner für völlig verschiedene Dinge hat noch nie getaugt. Sting bleibt Sting, auch wenn er gerne einmal aus seiner medialen Existenz heraustreten möchte und sich dazu ein hohes Vorbild ausgesucht hat. Die musikalischen Welten sind inkompatibel. Aus dem Popgeschäft gibt es kein Zurück.

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