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Television geht vor

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Cluster 1999/02
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Am 16. Januar, sehr früh morgens entschlief ein Kulturversuch. Das Digitale Satelliten Radio, kurz DSR, wurde aus dem Kabel genommen. Anstelle von der über dieses System empfangbaren Programme läuft nun ein Endlosband: „Mit Ablauf des 15. Januar ist der Betrieb von DSR, wie bereits mehrfach angekündigt, eingestellt worden. Weitere Informationen können Sie unter der kostenfreien Telefonnummer 0800/373 83 93 erhalten."

 DSR galt als eines der fortschrittlichsten Radioprojekte und erwarb sich hinsichtlich Klangqualität (nahezu CD) und Überregionalität (WDR3 und Radio 3 NDR sind so auch in Süd-Bayern zu hören) höchstes Lob. Warum DSR sterben mußte geht aus einem Brief aus dem Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler hervor: „Gerade diese außergewöhnliche Übertragungsqualität, die nur mit besonders hohem technischen Aufwand zu erreichen ist, hat aber dazu beigetragen, daß die Deutsche Telekom AG sich letztlich gegen den Erhalt von DSR entschieden hat.

Auf dem Hauptweg der Übertragung von DSR, dem Breitbandkabelnetz, werden nicht weniger als zwei komplette analoge TV-Kanäle benötigt, um die 16 Hörfunkprogramme des DSR-Pakets in der auch von Ihnen so geschätzten Art übertragen zu können." Hohe technische Qualität wird zum Bumerang. Und wichtig auch: TV geht vor. Statt DSR schlägt man von Amts wegen den Kauf eines Digitaldecoders (Set-Top-Box) vor, der die alten Programme und zusätzlich weitere enthalten soll. Das hat aber wenigestens drei Haken. Erstens benötigt man ein neues Gerät, das dann zweitens auf ein technisch schwächeres System der Datenübertragung setzt (DVB – Digital Video Broadcasting: Applaus klingt dort wie „brutzelndes Bratenfett") und drittens keine Erhaltsgarantie beinhaltet. Letzteres heißt: Niemand kann sagen, wie lange dieses System beibehalten wird.

Daß man es ähnlich einfach und mit den gleichen Argumenten kippen kann wie den DSR liegt auf der Hand. Ein anderer Haken gesellt sich zu den anderen: Diese Digitaldecoder können leicht mit Verschlüsselungsmechanismen kostenpflichtig gemacht werden. Kultur kostet eben etwas, Unterhaltung dagegen bringt Cash. Übrigens ist schon längst nicht mehr die Einspeisung von UKW-Radioprogrammen ins Kabel gesichert, denn auch die verschwenden ja „Bandbreite".

Solche Vorgehensweisen sind durchschaubar auf andere Bereiche übertragbar. Warum sollte sich eine Stadt noch ein Theaterorchester leisten, wenn es günstiger ist, die Musik aus Aufzeichnungen über Lautsprecher abzududeln? Warum nicht Videoleinwandtheater einführen und so Aufführungen sehr viel kostengünstiger anbieten? Was soll dieser finanziell unrentable romantische Aufwand noch? Vielleicht wird nach dem Modewort der „virtuellen Realität" eine „virtuelle Kultur" das Zauber- und Totschlagwort der nächsten Jahre werden. Die Zukunft gehört den kulturreduzierten Daten.

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