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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

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Theos Kurz-Schluss – Wie ich einmal am realistischen Besuch eines mir gehörenden Planeten aufgrund leicht vermeidbarer menschlicher Schwächen scheiterte

Vorspann / Teaser

Die literarische Früherziehung beginnt in meinem Falle mit ungefähr drei Lebens-Jahren und endet frühestens mit dem ersten Teil des letzten Doppelwortes. Früher Forscherdrang wird oft mit dem heutzutage zu Unrecht rein kapitalistisch konnotierten Koppel-Begriff „Neu-Gier“ beschnitten. Das schränkt natürlich den Homo-sapiens-formenden,  fördernden, vorwärtstreibenden, sozusagen chromosomenbedingten Charakterzug unseres sicherlich an digitaler Abnutzung darbenden Menschseins ein. 

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Langer Rede kurzer Sinn: Am Krankenbett meiner von Windpocken, Keuchhusten, Mumps und Masern reichlich gesäumten frühen Kindheit durfte ich einen Luxus erleben. Meine liebe Mutter (Gott hab sie selig) las mir immer aus einem dicken grünen Folianten „Grimms Märchen“ vor. Rasch und trotz oder dank hoher Fieberschübe bemerkte ich, dass es immer dieselben etwas flachen Geschichten waren: „Hans im Glück“, „Dornröschen“, allenfalls die jedes Mal geretteten „Sieben Geißlein“, oft mit dem Hinweis, dass ja auch ich bald gesund würde. Rasch merkte ich Schlingel, dass in diesem fetten Buch doch noch etwas anderes zu finden sein müsse – und grabschte es mir in heimlichen Stunden. Da ich die drei genannten Storys schon bis zum Erbrechen auswendig kannte, fiel es mir dank etlicher Spezialbegabungen nicht schwer, die dort verwandten Hieroglyphen in Buchstaben umzudenken – und immer flotter lesen zu lernen. Abgründe taten sich auf, die (vermutlich) meine spätere engagierte Welt- und Voraussicht auf dystopische Ereignisse aller Art früh formten: „Fitchers Vogel“  – ein Hexenmeister, der sich als Bettler tarnte und in bester Tatortmanier schöne junge Mädels raubte und in Besitz nahm (kein Happy End, Erstveröffentlichung 20. Dezember 1812!). Oder: „Märchen von dem Machandelbaum“: Ein reiches Ehepaar wünscht sich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut. Beim Schälen eines Apfels schnitt sich die Möchtegern-Mutter in den Finger. Sie wird schwanger, stirbt bei der Geburt und wird unterm Machandelbaum begraben. Dass das Kind vom Rumpelstilzchen gefressen wird, ist freilich eine meiner schon damals typischen Fantasie-Fortsetzungen.

Wenige Jahre später entdeckte ich am Gmunder Bahnhofs-Kiosk, Inhaberin Frau Nickelbauer, sehr nett, im Rahmen des Bierholens für meinen Vater, die Science-Fiction-Heftchen-Reihe „Terra“. Durfte reinschmökern und blieb gefesselt. Ich war um drei „Terra-Hefte“ (Koryphäen-Autoren K. H. Scheer, Jesko von Puttkamer) reicher. Mein Vater bemerkte den Verlust einer Flasche (von acht) des Tegernseer „Gambrinus-Bockes“ nicht mehr. Mir eröffnete sich allerdings der Weltraum, später literarisch (Isaac Asimov), cineastisch (Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum) oder TV-Serien-süchtig: (Raumpatrouille Orion, Bügeleisen-Raumschiff, Vivi Bach), perfekter schon „Star Trek“ – Lieutenant Uhura – wunderbar, u.s.w.…

Wie das Leben so spielt, befreundete ich mich Jahrzehnte später (auch aus gewissen professionellen Gründen) mit einem etwas exzentrischen Kulturfunktionär, der einerseits die Schleimpilz-Fotografie als Hobby hatte, andererseits wie ich die Weltraumforschung. Heimlich hatte er sich auf dem Berliner Teufelsberg ein super Radio-Teleskop mit Verbindung zum Webb-Satelliten-Fernrohr eingerichtet, was in mir als Weltraumexperte von Kindesbeinen an, selbstverständlich gewisse Neidgefühle hervorrief. Nach Wochen harter Instruktion durfte ich das Wundergerät nutzen. Mein Astro-Mäzen ging derweil auf die Schleimpilz-Pirsch. 

Dass die Profi-Astronomen mit super Hightech vermutlich in schwarzen Löchern nach widerstandsfähigen weißen Greisen suchten, kam mir zupass. Bekanntlich verzwergten quantitätsfixierte Himmelsschnüffler unserer Sonne den wunderhübschen „Pluto“ zum Kleinplaneten. Da waren’s nur noch acht. Ich hingegen hatte schon vor etlicher Zeit mit meinem „Kosmos-Starfinder“ eine wunderbare winzige Anomalität weit jenseits der Neptun-Bahn entdeckt und konnte nun dokumentieren, dass in zirka anderthalbfacher Lichtjahr-Entfernung ein etwa erdgroßer neunter Planet in recht unregelmäßiger Bahn unsere Sonne umkreiste. Die Schöpfung ist eben unberechenbar. 

Beim Schweizer Office für extraterrestrischen Geländekauf Bärenbuckel & Co. KG meldete ich meinen Fund und meine Ansprüche an – und ließ sie gleich nach bolivianischem Recht verbriefen. Was nun? Schließlich möchte man anfassen, was man erworben hat. Also zoomte ich ein wenig mit meinem alten Spezi Elon Musk. Ich hatte ihm seinerzeit die hoch geheime Antriebstechnik der Walther-U-Boote von General und Reichspräsident Karl Dönitz günstig als Konstruktions-Grundlage für seine Teslas verschaffen können. Gegen fünfzig Prozent der Planetenfläche und einer Kompensation von achtzig Prozent an „X“ für mich versprach er mir jede Hilfe. Da traf es sich gut, dass die von Musk gemeinsam mit Trump und Putin geplante Unterfütterung des nordkoreanischen Halbinselteils zwecks Terraformings der Mondrückseite mittels hochpotenten Ionen-Triebwerken noch nicht ganz fertiggestellt war. Flugs wurden nach dem Walther-Prinzip die Ionen-Triebwerke gebündelt und in den Elon-Star-Chopper „Rusty Daniels“ eingepflegt. Höchstgeschwindigkeit ab Mond 98 Prozent Light-Speed. Besatzung: Elon, ich und als Pilot*in: Lieutenant Uhura, ein(e?) Spitzen-KI. 

Elon ließ mich mit ionisiert-aufgebrezeltem Space-Chopper in Usedom abholen. Wir wurden, um Fliehkräfte in jeder Hinsicht zu reduzieren, in einer der bayerischen Schweinssülze nicht unähnlichen Masse versenkt und bekamen Virtual Glasses mit Musik-Clips übergestülpt. Alles lief bestens, wir durchquerten gerade den Asteroidengürtel zwischen Erde und Mars fast lichtgeschwind. Da plärrte und flimmerte der absolut dekadenteste und blödeste Hitparaden-Kotzbrocken namens „Friesenjung“ als Virtual Projection mit einem blauen windmühlenförmigen Blond-Blödi an der Seite des sehr alten weißen Mannes Otto Waalkes vor Aug und Ohr. Ich ahnte nichts Gutes und musste mich erstmal in meine Sülz-Wanne erbrechen. Abbrechen tat auch die Projektion. An die Stelle des Klang-Schrotts trat – immer tiefer werdend – die Stimme von Pilot*in Uhura. Sie rappte „Hänschen klein, ging allein… (tiefer, langsamer:) Ännschen tlein, kink… (sehr tief, sehr langsam:) Ännschen ein Männschän…

Ich wollte aus der Sülze hüpfen, aber zwei alte Wolga-Kotflügel-Montage-Roboter drückten mich immer tiefer in die Tunke. Das Lied, die Melodie kam mir noch irgendwie bekannt vor …

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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