Das ist bitter. Mein sozialfinanziertes Obdachlosen-Tiny-Häuschen: zwölf Quadratmeter für mich allein, ein großbürgerlicher Dank der damals noch existierenden SPD für ein Gedicht über meine Heimatstadt namens „Rattenbonum“. Das Büdchen, praktisch gelegen direkt neben der Bahnhofs-Bedürfnisanstalt, soll ich künftig mit drei US-amerikanischen Demokraten-Flüchtlingen teilen. Das ist für mich, wie gesagt, einerseits bitter. Andererseits – wo sollen die wöchentlich gut 100.000 von Trump Verfolgten oder Vertriebenen denn noch unterkommen? Angesichts meiner dank eines längeren Zwangsaufenthaltes in einem AfD-Umerziehungslager unheilbaren Xenophobie zog ich erstmal unter eine Bank im Stadtpark zurück. Keine Dauerlösung im Februar. Kälte macht mich aber wach. Und so entdeckte ich in einigen der (auch immer seltener zu findenden) „Bild“-Zeitungen, meinen optimalen Wärmepolstern, diverse Artikel über sogenannte „Influencer“. Meist eher jugendliche oder mittelalterliche Menschen, die mit Hilfe des sogenannten Internetzes vom Zehenlack bis zum Gamsbarthut, von der stierhodengefüllten Potenzpille bis zur göttlichen Heimreise-Partei alles, aber auch alles anpreisen und damit jede Menge Kohle machen. Vielleicht meine Rettung und der Weg zur Finanzierung einer von mir aus fensterlosen Untermiet-Bude. Denn im Anpreisen und Verscherbeln von Dummzeug habe ich eigentlich üppige, bereits frühkindliche Erfahrung.
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Theo Geißler. Gemälde von Anneliese von Markreither. Foto: Theo Geißler
Theos Kurz-Schluss – Wie ich einmal den Spruch „Früh krümmt sich …“ in sein Gegenteil sinnvoll umformen konnte
Schon als Sechsjähriger platzierte mich meine ebenso vermögende wie kalkhaltige Großmutter, seit einiger Zeit glühende Zeugin Jehovas, ohne Wissen meiner armen Eltern vor dem Bahnhof meines Geburtsweilers Gmund am Tegernsee als Werbesandwich und Plakatständer für die Armageddon-Schützer. Damals war ich offenbar noch so putzig und attraktiv, dass eine nicht geringe Zahl ängstlicher Bürgerinnen und Bürger angesichts der gerade aktuellen Erfindung der Plutonium-Bombe vom Katholizismus abfielen und Jehovas Gottesanbetern ins Netz gingen. So viele, dass meine Großmutter in unseren üppigen Vorgarten einen 200 Quadratmeter fetten „Königreichssaal“ errichten ließ. (Heute nach selbstverschuldeter Verarmung meiner Eltern und ein paar kosmetischen architektonischen Ergänzungen edle Zweitwohnung mit unverbaubarem Seeblick für einen ehemaligen FC-Bayern-Verteidiger.)
Noch in der „guten alten Zeit“ (zwei Jahre später, noch vor dem elterlichen Ruin) bewies ich mein kaufmännisches Talent, indem ich an vom Haus aus uneinsichtiger Stelle zur Straße hin ein Loch in den Gartenzaun schnitt und einen kleinen Verkaufsstand aufbaute. Meine zwei wohlfeilen Waren bestanden aus getrocknetem und deshalb weißlichem Hundekot (prima Tafelkreide) und gequetschten Nacktschnecken im Blattmantel (super Klebstoff, besser als Uhu). Reich wurde ich damit nicht – und Schluss jetzt mit sentimentalen Reminiszenzen. Hauptsache: Reste der Begabung blieben erhalten. Also sammelte ich, Bewegung ist gesund, etliche leere Bierbüchsen und Limo-Flaschen und versorgte mich so mit ein wenig Bargeld. Die wenigen besetzten Plätze im Internetcafé neben mir leerten sich sehr schnell. Scheints sind die Leute keine kräftige Landluft mehr gewohnt. Ich entsann mich meiner guten Phasen als Werbetexter und studierte rasch lernend die Instagram-, X- und Tik-Tok-Seiten meiner Konkurrenz.
Nun, als prallbrüstiges Blondinchen oder breitschultriger Sixpack-Frontmann ging ich nicht mehr durch. Ich musste mir ein hochindividuelles Influencer-Image ausdenken. Unverwechselbar und mit raffiniert-uniquem Content. Also entsann ich mich der guten alten linken Silberlocken-Fraktion, gründete spontan (mangels Perücken-Ankauf-Mittel) die Spiegelglatzen-Partei. Ein Programm war dank meiner lyrischen Vorbildung flott formuliert: „Wo keine Haare wachsen, hat die Intelligenz genug Nahrung“ – zum Beispiel. Als Gegenthese: „Ein Haarkranz à la Scholz verwandelt Hirn zu Holz“. Dazu eine mit Photoshop (kostet leider extra) fast naturbelassene Fresse von Trump samt Orangenbürste – Unterzeile: „Rückkehr zum Planet der Affen?“ Oder „Unter Söders Bart verbirgt sich Pandemie-Start“. Und: „Wer Grün wählt, Putin stählt“. oder „AfD und Freie Wähler sind brutale Katzenquäler“. „Freie Demokraten? Übler als Bin Laden“. Oder: „Erst Blackrock, dann Abzock. Das Rentner-Ausmerzen kommt.“ Nötig natürlich Positivbeispiele. Etwa der Claim: „Wo es vom Kopf her spiegelt, beginnt die Zukunft zu glänzen.“ „Baerbock und Habeck zaubern Wirtschaftssorgen weg“. „Der Deutsche verdoppelt im Merzen ganz easy seine Sesterzen“. „Weg mit Altparteien-Morschheit – her mit Lindners Porsche-Freiheit.“ Sie merken schon: Es mangelt nicht an Überparteilichkeit und überbordender Fantasie. Wer mich kauft – und mir ein Einzelzimmer vermittelt – bekommt mich selbstredend exklusiv. Zum Sieg verhilft Ihnen ein seriöser Influencer mit einer Riesenportion an Ideen und Lebenserfahrung.
Versehen mit solchem sympathisch öffnenden Vorspann postete ich diese Beispiele griffiger allseitiger Wahlwerbung im Vorfeld lebenswichtiger politischer Entscheidungen an alle, auch die kleinen Parteien mit dem Hinweis, es handle sich nur um Beispiele, die für jegliche politische Haltung exquisit und garantiert wirksam modifizierbar seien. Als meine Anschrift gab ich das Internetcafé „Immaculata rustica“ allseits im Web bekannt. Der Pächter des Cafés erhielt von mir mein einzig verbliebenes Hab und Gut unter Schmerzen: mein Backenzahn-Gold.
Nach einer hoffentlich letzten Nacht unter der tröpfelnden Parkbank machte ich mich auf den Weg zu meiner Hoffnungs-Zentrale. Dort hatte sich eine gute Hundertschaft überraschend junger, teils wild geschminkter, teils sehr seriös gekleideter Menschen versammelt. „Da kommt er ja, der Mistkerl, der Plagiator“, schrillte eine spitze Stimme, drauf ein Bärbass: „Hab ihn gleich“. Schon war ich umringt, zu Boden geworfen. Ein geschlechtsneutrales Wesen rammte mir sein Knie in die Brust: „Rück sofort meinen Lyrik-Prompt wieder raus, du Fälscher“ – „Nein erst meinen Polit-Programm-Prompt“ – „Weg da – zuallererst meinen zauberischen Haarwuchsmittel-Prompt …“. Es wurde schwarz um mich – und blieb es, nur der Mond schien ein wenig. Das „Immaculata rustica“ stand nicht mehr und ich bekam gerade noch mit, wie der arg geschundene Pächter mich um die Herausgabe meines zweiten Backenzahnes bat, allerdings einer mit Amalgam-Füllung …
Theo Geißler (nach dem Prompt folgt der fünfte Absatz als Content-Anweisung für ChatGPT PRO2026), Herausgeber von Politik & Kultur
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur
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