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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

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Theos Kurz-Schluss – Wie ich einmal schmerzlich bereute, keine slawischen Fremdsprachen gelernt zu haben

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Eigentlich sollte es mich ja beruhigen, dass die sogenannte „Letzte Generation“, auch „Zoomer“ genannt, nur mit dieser Bezeichnung belegt ist, weil das (lateinische) Alphabet mit dem 26. Buchstaben „z“ endet. (Ohne Umlaute, sonst hätte man als Reserve ja vielleicht noch die ärgerliche, die öde oder die überflüssige Generation im fragwürdigen Definitionssack.) Es folgt, hoffentlich mit philosophisch-humanistisch konstruktiven Perspektiven eine Vorgänger-Aufzählversion. Das griechische Alphabet, Nomen est Omen – beginnt mit Alpha.

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Zum letzten Viertel der „Zoomer“-Generation gehört meine Cousine Chantal. Geboren 2008 in Wutha-Farnroda, Thüringen, Vater Hausmann, Mutter Influencerin für preisgünstige Antifaltencreme und besonders fruchtbare Blumenerde. Chantal ist ein typisches Nachzüglerkind, insofern gehätschelt und „gepätschelt“, wie man in Wutha-Farnroda sagt. Zu ihrem 16. Geburtstag fuhr ich aus praktischen Gründen, weil ihre Eltern gleichzeitig doppelten Fünfzigsten feierten und ich solche Termine gern in einem Aufwasch erledige. 

Nach üppigem Mahl (zwei Paar Thüringer Rostbratwürste mit drei Klößen, gefolgt von einer mächtigen Portion Geschmink, einem traditionellen Gericht, bestehend aus gebackenem Lamm, Kartoffeln und Birnen) trat die übliche verfressene Stille ein. Nur Chantal und ihre Freundin Emilia aus Lobenstein gerieten in eine heftige Diskussion, ob sie bei der bevorstehenden „Eurowahl“ ihre Stimme lieber TikTok oder Instagram geben sollten. Chantal war für TikTok, weil ihre Mutter dort beste Geschäfte machte, Emilias Vater, Lokalredakteur beim Lobensteiner Amtsblatt „Der Aufriss“ plädierte für Insta, da seriöser. 

Normalerweise nehme ich solche aufflammenden Familienfehden liebend gern zum Anlass, mich unauffällig zu verabschieden. In diesem Fall allerdings biss mich der Schalk in den Nacken oder die zwecks biologischer Zersetzung der üppigen Mahlzeiten reichlich genossenen Schnäpse namens „Buckelapotheker“ (sechzig Prozent Alk) und „Kruidenschipper“ (vierzig Prozent) ins Gehirn. 

„Ihr geht doch beide noch aufs Gymnasium“, – fuhr ich in die Diskussion. „Wir leben in einer Demokratie und nicht im Handy-Prozessor. Es gibt, wie ihr sicher längst gelernt habt, politische Parteien und Vereinigungen mit unterschiedlichen Programmen. Zwischen diesen könnt ihr im Rahmen der Europawahl, übrigens zum ersten Mal in eurem bislang offenbar informationsarmen Leben wählen. Aber weil es, wie man hört und sieht, eine ganze Menge von derart ahnungslosen Erstwählern wie ihr es seid, gibt, hilft euch der Mobil-Wählomat, eine Super-App, mit der ihr checken könnt, was ihr wählen sollt. Weil ein Wust von 35, in Worten fünfunddreißig, Parteien und Vereinigungen zugelassen sind, prüft mit der App, welche drei Parteien mit ihren Programmen euch am besten gefallen. Wenn ihr in einer Stunde fertig seid und euch geeinigt habt, bekommt jede von euch zwanzig Euro von mir“ (… hatte kürzlich in der „Gala“ gelesen, dass die Generation Z sich durch kleine materielle Gaben gut motivieren lasse …).

Tatsächlich zogen sich die Damen zurück, nachdem sie herausgefunden hatten, dass auch bei Google „Wählomat“ mit „h“ geschrieben wird und der Download kostenlos ist. Ich hingegen fläzte mich leicht erschöpft in den nächsten freien schattenkühlen Liegestuhl, kippte noch einen gut bemessenen doppelten Buckelapotheker hinter die Binde und schlief ein.

Fast traf mich der Schlag, als mich ein Erdstoß mit gefühlter Amplitude von zehn aus dem Liegestuhl warf. „Wir hätten dich sonst nicht wachgekriegt“, grinsten die Jungwahl-Damen und wedelten mit ihren iPhones-15pro. Mein Brummschädel morste Fragezeichen – und dann das Notsignal für leichtfertig vergebene Versprechen. Wie dem auch sei – momentan fiel mir kein Ausweg aus der selbstgenerierten Malaise ein – abgesehen vielleicht von einer negativen Beurteilung der „Wahlforschungs-Ergebnisse“. Also rappelte ich mich hoch, setzte meinen strengen Verhörblick auf (der schrilles Gekicher auslöste) und brummte: „Ergebnisse bitte“. „Also“, sagte Chantal, (die auf dem Wege eines viertelstündigen Schnick-Schnack-Schnuck zur Sprecherin gewählt wurde): „Wir haben gründlich geprüft, Argumente ausgewählt und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Platz drei: Die Piratenpartei. Johnny Depp ist ein supergeiler Typ. Er will alles dafür tun, dass unser Internet schneller funktioniert, und wenn er die Deutsche Bank dafür ausplündern muss. Platz 2: Die Deutsche Tierschutz-Partei. Wir wünschen uns beide seit Monaten einen Komodo-Waran als Haustier. Und ein Känguru. Wir wollen, dass die gut geschützt bei uns im Keller sind. Und auf Platz 1: Die Partei. Sie ist die einzige, die regelmäßig über die Titanic schreibt. Bester Film ever. Feiert heute 25. Geburtstag. Und Leonardo di Caprio war noch süßer als Johnny Depp. Her mit der Kohle.“

Es verschlug mir die Sprache so intensiv, dass mir, schlagfertig wie ich ansonsten bin, nur ein verhuschtes „verdammt nochmal“ über die Lippen kam. Mir fiel noch ein, dass ich meinen Geldbeutel im Auto hätte, da lag ich dank eines raffinierten „Letzte Spur Berlin“-Kicks schon auf dem Rasen, mein Geldbeutel wurde um zwei Blaue erleichtert – schwupps waren die Damen verschwunden. Ich wollte prüfen, ob trotz des Sturzes mein Handy noch funktionierte und fummelte es aus der Gesäßtasche. Vertrauen gut, Kontrolle besser überfiel mich ein orbanesker Trieb. Ich gab mal „Wählomat“ ins Suchfeld und erhielt eine Nachricht in kyrillischer Schrift: Глупый идиот, Европа выбирает Путина! (Glupyy idiot, Yevropa vybirayet Putina!) 

Irgendwas hab ich wohl wieder mal falsch gemacht … Ach so, das Teil heißt Wahlomat.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

 

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