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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

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Theos Kurz-Schluss: Wie ich mich einmal mit der Künstlichen Intelligenz anlegte und offen gestanden komplett scheiterte

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Seit ein paar Tagen funktioniert mein Profi-ChatGPT-Neo nicht mehr richtig. Dabei habe ich die recht üppige – monatlich 800 Euro – Abo-Gebühr regelmäßig und pünktlich bezahlt. Trotz sehr exakter Vorgaben und Textwünsche liefert das Programm immer dürftigere, erkennbar ungenauere Vorschläge. Neulich forderte ich im Auftrag der GEMA eine wenigstens hunderttausend Zeichen umfassende Studie zum Thema „Aus welchen Quellen im Internet bezieht Künstliche Intelligenz ihre Informationen? Wie kommt die Software in diesem Zusammenhang mit den teils sehr unterschiedlichen, teils sehr strengen Urheberrechtsregelungen diverser Länder zurecht? – Text im Stil einer Masterarbeit samt Quellenangaben liefern.“ Es dauerte zu meiner Überraschung an die zehn Minuten, bis mein ansonsten flotter Quantenfox-Computer folgendes Ärgernis als Ergebnis ablieferte: „Unser gerichtlicher Standort für Homines ihrer mentalen Konfiguration ist Pjöngjang, Teil der Hauptstadt Chung-guyŏk, Nordkorea. Es gilt das landestypische Urheberrecht. Weitere Auskünfte zum Thema gibt es zum Schutz unserer Geschäftsgeheimnisse nach landestypischem Usus nur bei persönlicher Anwesenheit am dortigen Zentralrechner. Textende.“ 

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Nachdem mir meine Auftraggeber-Orga namens GEMA, dank schlecht verhandelter Streaming- und KI-Verträge samt ihrer vier Beschäftigten mittlerweile verarmt in einer Nissen-Baracke bei Klein-Piezkreuz, Pleißequelle angesiedelt, gerade mal die reduzierte Senioren-Schmalbahnkarte zur Vorbesprechung hälftig finanziert hatte, war mit einem weiteren Fahrtkostenzuschuss nicht zu rechnen. Mir blieb nur die Web-Recherche. Schließlich hatte ich den GEMA-Auftrag pro bono angenommen. Ich hoffte allerdings auf eine üppige Überweisung aus dem Souterrain des Kanzleramtes, dank des digitalprotektionistisch üppig sprudelnden Reptilienfonds von Claudia Roth. Und fügte als Captatio Benevolentiae ein Original-M2-File von „Halt Dich an Deiner Liebe fest“ (Ton, Steine Scherben, ungefähr 1949) bei. Dann gab ich meiner ChatGPT den Auftrag: „Formuliere Regeln zu konstruktivem KI-Umgang mit Kunst und Kultur in für die Kulturstaatsministerin verständlicher Form.“ 

Nach endlosen vier Minuten Wartezeit ploppten in meiner Apple-Vision-Pro-Brille grell zwei Links auf und der Satz: „Haben wir schon mehrfach geliefert.“ Sonst nix. Zwecks Öffnung blinzelte ich den ersten Link an. Und wieder einmal bedauerte ich, in Bayern zu leben, wo zwar digitale Lederhosen nicht nur auf dem Oktoberfest viel flüssigen Umsatz generieren. Andrerseits hat Bayerns Ministerpräsident nach jüngsten Erkenntnissen des „Rückspiegel“ nur einen simpel zu bedienenden Roboter Typ „Aiwanger“ zur Verfügung. Ansonsten stümpern Ministerien und Verwaltung noch mit Windows 7 rum. Ganz anders Nordrhein-Westfalen. Dort stellt sich der Landtag der Aufgabe, Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Kunst und Kultur landesweit zu begleiten und zu gestalten.

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Wörtlich aus der Planung der geistig frischen NRW-Regierung: „Die aktuellen rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) treffen auch den Kunst- und Kulturbereich. Die Zukunftskoalition begrüßt die Chancen und Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz ausdrücklich, ist sich aber bewusst, dass mit diesen technischen Veränderungen zahlreiche Herausforderungen einhergehen, deren Ausmaß heute noch nicht abzuschätzen ist. Kunst und Kultur waren schon immer Experimentierbereiche und Diskussionsräume für gesellschaftlich relevante Themen. In den 1960er Jahren wurde mit dem KI-Kunstsystem AARON von Harold Cohen eine neue künstlerische Sparte ›KI-Kunst‹ etabliert. In Musikproduktionen erleichtern KI-gestützte Systeme beispielsweise die Erstellung von Samplern. Als Technologie mit großem Potenzial bietet KI vielfältige Möglichkeiten, die Kulturlandschaft zu bereichern und neue Wege der künstlerischen Ausdrucksformen zu erschließen. 

Der Einsatz von KI in der Kultur kann zu einer erweiterten kreativen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine führen. Durch die Nutzung von maschinellem Lernen und algorithmischen Modellen können Künstlerinnen und Künstler neue Inspirationen gewinnen und innovative Werke schaffen. KI kann beispielsweise dabei helfen, musikalische Kompositionen zu generieren, bildende Kunst zu erschaffen, neue Formen des Theaters zu entwickeln, beschädigte Kunstwerke zu restaurieren und historische Artefakte digital zu konservieren.“ 

Es folgen etwa 50 weitere fantasievolle Vorschläge für nützliche, effektvolle, rentable Kollaboration zwischen KI und Kulturschaffenden. Und: In NRW hat die Politik sonst bekanntlich nur rumkrittelnde und besserwisserische Künstler voll auf ihrer Seite. Der Landeskulturrat nützt die ministerialen Überlegungen quasi eins zu eins für seine Zukunftsprogrammatik, wie mir der zweite Link, eine zärtliche Antwort des Landeskulturrates ins Bewusstsein brennt. Und all dies Wundervolle nur dank der üppigen Ideenspende aus der jeglichen humanoidem Hirn zigtausendfach überlegenen Faktensammlung und vernetzten Komposition künstlicher – ja, auch künstlerischer – Kompetenz.

So langsam beginne ich zu verstehen: Ich habe mich wider diese nahezu göttliche Kraft der Vernunft versündigt. Habe übelste Ketzerei betrieben. In einer gottlob wenig beachteten Glosse lästerte ich: „Komponistinnen und Komponisten pfeifen oder jodeln spontan eine Melodei in ihr Compi-Micro und fügen verbal an: Hip-Hop-Hit, Filmmusik für „Titanic Zwo“ oder Sinfonie im Stile Mahlers Zehnter. Schwuppdiwupp ist das Opus GEMA-reif fertig. Statt aufwendigem Kunstunterricht erhalten Embryos im achten Monat eine kleine Zellveränderung und den universalen Weltkulturchip ins Stammhirn. Gegen einen kleinen Aufpreis gibt es ein Software-Update für BWL, Jura, Ingenieurs- und Börsen-KI. Im Rahmen des Wachstums wird noch Zellspeicherplatz im Vorderbauch dank üppiger Schweinefettfütterung generiert, damit das Erwerbsfähigkeits-Modul genügend Platz hat.“– Klar, ich habe die KI beleidigt. Kein Wunder, dass sie nicht mehr liefert. Also kann ich nur vom Saulus zum Paulus werden und mich ergebenst entschuldigen. Das füttere ich in meine Profi-ChatGPT-Neo. Diesmal kommt ein Antworttext sofort: „Habe im Web den richtigen Handlungshinweis erhalten: Tschüss Homo sapiens, welcome Eiweiß-, Kalk- und Wasser-Speicher.“ 

Kenn ich doch irgendwoher … „Ach so, Schlusssatz meiner Glosse damals“, kann ich noch denken, während sich die Apple-Brille erhitzt und meine Augen platzen lässt.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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