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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

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Theos Kurz-Schluss: Wie ich wieder einmal trotz meiner reichen Erfahrung für eine aufwendige Recherche nix erhielt

Vorspann / Teaser

Wie das so ist, wenn man vom Ableben eines eigentlich längst vergessenen Klassenkameraden erfährt, perlen Gedanken aus Erinnerungs-Marianengräben hoch. Gedanken an die gemeinsame Freundschaft mit Klaus, samt Lehrerpeinigungen und Scharmützeln um Klassenkameradinnen unter verschiedenen Aspekten. Anstrengende Gewissenserforschungen, weshalb das Buben-Bündnis vor Jahrzehnten auseinanderging. Eine gewisse, sicherlich nicht sonderlich vertiefte gemeinsame Faszination am Thema Tod verband uns während der ersten Grundschulklassen. Direkt an unseren Nürnberger-Trichter-Bau des Lernens fürs Leben grenzte nämlich der dörfliche Friedhof samt Leichenhalle. Und die war offen, wenn belegt, – damit man von Verblichenen Abschied nehmen konnte.

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Trotz strengster Verbote der Schulleitung unter Strafandrohungen (bei Täterfang öfters mal exekutiert) von bis zu 20 Tatzenschlägen mit dem Bambusröhrchen, gerecht verteilt auf Finger und Gesäß, konnten Klaus und ich natürlich nicht gebremst werden. Auf Schleichpfaden robbten wir in Pausen oder Freistunden durch das Gräberfeld zur Aussegnungshalle und bespähten gänsehautüberzogen (in der Halle war es kühl …) die Verstorbenen. Fasziniert von ihrer Regungslosigkeit, der meist fahlen Haut und der stets festlichen Bekleidung im Sarg, deren Sinn uns angesichts ihrer Zukunft nicht einleuchtete. Unser letzter Besuch galt dann einer Klassenkameradin, die im Tegernsee ertrunken war. Er trieb uns Tränen in die Augen und hielt uns eben von künftigen derartigen Exkursionen ein für allemal ab.

In der vierten Klasse hatte ich dann gemeinsam mit drei weiteren Ketzern als Protestant im schwarzen Oberbayern leider Religionsunterricht. Leider, weil zwei Freistunden katholischer Unterweisung wegfielen. Gemildert wurde der Unmut von unserem jungdynamischen evangelischen Pfarrer. Vermutlich weil ich der körperlich längste Evangelische war, kürte er mich zum Kreuzträger des Trauerzugs bei Beerdigungen. Aufgrund der ausgeprägten Equal-Religion-Gap in unserem Dorf kamen solche Anlässe maximal monatlich vor. Bedauerlich, weil ich dann erstens schulfrei hatte, einen schwarzen Talar tragen, im Volkswagen des Pfarrers mitfahren durfte und ein Honorar von 50 Pfennig, manchmal gar Trinkgeld erhielt.

Klaus verlor ich vor dem Abitur – auch wegen eines Schulwechsels – aus den Augen. Drei, vier Jahrzehnte vergingen. Als kleiner Schreiberling frettete ich mich durchs Leben. Relativ verzweifelt suchte ich gern auch nach tröpfelnden Einnahmequellen. Ein Freund, Name vergessen, schenkte mir, statt mir einen Fünfer zu leihen, eine Zugangskarte zur Pressekonferenz der seinerzeit noch blühenden Berliner Funkausstellung. Ich sei doch ein Kontaktgenie. Haha. Also ab in den silbernen Asbestbunker und Augen auf.

Eine Pranke versuchte, meine linke Schulter auszurenken. Ich wollte schon fliehen, da stellte sich mir ein Trumm von Mann in den Weg, so hoch und breit wie tief. Wenn man das Gesicht optisch von Cinemascope auf 16:9 zurückrechnete, wurde klar: Das ist Klaus. Riesen Begrüßung. Klaus berichtete mir bei einigen Pils von seiner Chefposition bei einer ARD-Dokumentarredaktion. Ich versuchte schmallippig, meine Zahnlücke zu verbergen. Er ließ gerade an einer Serie über ausgefallene Begräbnisrituale drehen. Nicht ganz uneigennützig: Er selber sei nicht gesund und dächte einfach mal über ein würdiges Ritual für seine letzte Ruhestätte nach. Aber bitte nix Religiöses. Soweit er sich erinnere, hätte ich doch Erfahrung. Er könne mir auch ein bescheidenes Recherchehonorar ausloben. Denn ich sähe elend aus – rein optisch natürlich. Ich sagte ihm zu, zunächst eine kleine Stoffsammlung vorzubereiten, er möge auswählen – pro fertigem Skript sei mein Preis dann 10.000 plus Spesen. „Super, passt!“, dröhnte Klaus während eines weiteren Versuchs, meine linke Schulter zu zermalmen, und steckte mir seine Visitenkarte hinter den Brillenbügel. Ich zahlte elf Pils (hundertzehn).

Ich startete meine Stoffsammlung mit einem Berliner Billigbestatter: Viertelung des Körpers auf Umzugskistengröße, Außenwände mit schwarzem DC-Fix beklebt (dreihundert), Kreuz kostet extra – aber super Understatement, hohe Aufmerksamkeit bei Boulevardpresse dank meiner Öffentlichkeitsarbeit (Zweitausend extra).

Ferner Naturbestattungen: günstig samt Ürnchen (Marmeladenglas), anonym im Seitenstreifen der A100. Etwas teurer im Berliner Tiergarten (Polyester-Urne samt Holzkreuz, 200mm). Falls gewünscht: würdigende Traueransprache von mir (fünftausend), Precht (zweihundert) oder zehn Sekunden Gottschalk (Neunzigtausend). Jederzeit aufstockbar bis hin zu Waldbegräbnis unter tausendjähriger Eiche. Sehr im Trend: Wasserbegräbnis – Ausstreuen der Asche vom Ufer in die Spree (Tausend ohne Rede) oder vom Traumschiff „Adria“ mit Silbereisen-Rede (zwanzigtausend). Der angemessene Super-Spitzen-Act sei freilich das Umschmelzen von Klaus z. B. in einen Viertelkarat-Diamanten. Wegen Energiekosten leider sehr teuer (ca. eine Mio. samt Etui).

Zehn Jahre hörte ich nix von Klaus. Da erreichte mich ein kleines Päckchen: drin eine schwarze Schatulle aus Hartplastik, eingraviert: „Klaus“. Ich öffnete das Teil, mir funkelte ein winziges Steinchen entgegen. Ich war gerührt. Drehte die Box auf der Suche nach weiteren Infos um. Dort stand: „Swarowski“.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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