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Wird eine Dummheit dadurch, daß man sie wiederholt, gescheiter? Im "Nachschlag" der nmz 7/8 auf Seite 44 scherzten wir ein wenig über die Behauptung des Warner-Music-Präsidenten Gerd Gebhardt, die Major-Platten-Companies gäben hundert Millionen Mark für die musikalische Nachwuchsförderung aus. Zur Eröffnung der PopKomm hielt Thomas M. Stein, Oberbertelsmann der BMG Entertainment International und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft ein Redelchen, das argumentativ in der wörtlichen Wiederholung des Gebhardt-Trugschlusses gipfelte. Außerdem zauste er die Politiker ("Warum ist Herbert Grönemeyer nicht längst Ehrenbürger von Bochum?"), die Klassik ("Hier gilt immer noch das als hochwertig, was nur einer kleinen Minderheit gefällt. Diese Minderheitenkunst wird dann als ernste Musik bezeichnet und mit mehr als einer Milliarde bezuschußt und selbst bei den GEMA-Tarifen bevorteilt.") - und nochmal die GEMA ("Die GEMA sollte, statt solcherart Kulturförderung zu treiben, lieber selbst etwas kommerzieller, sprich kostenbewußter denken - soweit das einem Inkassobüro ohne Risiko möglich ist"). - Weil wir weit davon entfernt sind, Thomas Stein irgendwelche intellektuellen Handicaps zu unterstellen, gehen wir von einem schlichten Denkfehler aus und starten einen weiteren Informationsversuch auf hoffentlich angemessener Sprachebene: Sie kennen doch, Herr Stein, Erdöl. Das ist ein Rohstoff. Manche Leute sagen: Rohstoffe werden ausgebeutet. Andere Leute sagen: Erdöl wird gefördert. Manche Leute sagen: Erdölprodukte verpesten unsere Luft. Andere Leute sagen: Erdöl ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Sie können folgen, Herr Stein? Wenn große Firmen Erdöl fördern, müssen sie investieren. Das heißt, sie müssen viel Geld ausgeben, damit sie an das Erdöl rankommen. Investition heißt das, kapiert? Dieses Geld geben die Firmen gern aus. Denn sie wissen: Viel, viel mehr Geld kommt zurück. Man sagt: Die Investition hat sich gelohnt. Die Gesellschafter freuen sich und loben den Geschäftsführer. Er kriegt auch viel Geld. Manchmal kommt nicht so viel Erdöl wie erwartet. Das nennt man Risiko. Aber ein guter Geschäftsführer hat das Risiko schon berechnet. Er teilt es auf. Er läßt an ganz verschiedenen Stellen bohren. Und so gewinnt er meistens. Und auch seine Gesellschafter. Alles klar? Von Förderung spricht da niemand. Fördern tun zum Beispiel die schmutzigen Arbeiter auf der Bohrplattform. Wenn Sie, Herr Stein, zum Beispiel in Tic Tac Toe investieren, geben Sie Geld aus. Investition heißt das, kapiert? Weil Sie ein guter Geschäftsführer sind, geben Sie auch noch Geld aus für Puff Daddy, Dr. Motte und Wolfgang Petry zum Beispiel. Sie teilen Ihr Risiko auf. Dann werden Sie von Ihren Gesellschaftern gelobt. Und Sie kriegen viel Geld. Das ist gut. Von Förderung spricht da doch niemand. Oder? Einverstanden? Also: Nix für ungut, Herr Stein. Und wenn Sie Fragen haben: e-mail an nmz@ nmz.de genügt. Übrigens: Kennen Sie den Unterschied zwischen No Mercy und Sabine Meyer? Ach so, Sie kennen Sabine Meyer nicht. Macht nix. Hohes Risiko!
Abwicklungsversuch einer ambitionierten AG
Cluster
Seite 4
Autor:
Reinhard Schulz
Sie ist ein Begriff auch über die Kreise der experimentellen Musik hinaus: die AG Neue Musik am Leininger Gymnasium Grünstadt. Dort wurden für zweieinhalb Jahrzehnte mit Engagement, kritischem Bewußtsein und viel Freude an der Sache avantgardistische Ansätze erprobt und auf die Tauglichkeit für schulmusikalische Zwecke geprüft. Unter der Leitung des Musiklehrers Manfred Peters erreichte das Ensemble ein erstaunliches Niveau, viele Mitarbeiter der AG wählten nach dem Schulabgang die schöpferische Betätigung mit Musik zu ihrem Beruf. Toleranz und Weite, Kritikfähigkeit oder ein geschärftes Sensorium bekam jeder der Beteiligten mit auf den Weg. Eigentlich sollten kulturelle Aktivitäten wie diese, die den Blick über den Tellerrand wagen und mit verhärteten Vorurteilen brechen, für die regierenden Organe Ermunterung sein. Die Basisinitiativen wären zu sammeln und auszuwerten, großzügige Unterstützung und die Auslotung von Möglichkeiten, die Ansätze anderweitig fruchtbar zu machen, sollte Pflicht einer verantwortlichen und vorausschauenden Kulturbehörde sein. Denn leider sind solche Unternehmungen rar, sie verlangen viel idealistischen Einsatz - sowohl von seiten der Lehrer als auch der Schüler. Manfred Peters, der die AG gründete, tritt nun in den Ruhestand. Man hatte eine ambitionierte Nachfolgerin in Frau Egeler-Wittmann gefunden, die bereits im letzten Jahr nebenamtlich die AG leitete. Das Schulreferat aber sieht die Stelle als "normale" Schulmusikposition und wollte sie entsprechend "normal", also ungeeignet, besetzen. Ein Abwicklungsversuch? Nach erheblichen Protesten gab man nun für ein Jahr nach. Frau Egeler-Wittmann erhielt eine einjährige Schwangerschaftsvertretung (trotz inexistenter Schwangerschaft in Grünstadt). Doch auch nach diesem Jahr darf mit der AG Neue Musik nicht Schluß sein.
Rituelle Handlungen, festliche Routine
Cluster
Seite 4
Autor:
Andreas Kolb
"Parsifal" im Jahr 1997, dem Jahr ohne Neuinszenierung. Die Saaltüren schließen sich, die letzten Besucher huschen auf ihre Plätze. Lichter gehen aus. Feierliche Sekunde vor Beginn der Ouvertüre. Hinter mir sagt eine Stimme überrascht auf englisch: "Oh, hier gibt es keine Fenster?" Eine andere Stimme beruhigt: "An solchen Orten gibt es nie Fenster." Noch immer wirkt also dieser theatralische Effekt der Verdunkelung auf die Gemüter, zumindest auf die schlichteren. Das Festspielhaus war 1876 weltweit das erste Haus, dessen Zuschauerraum während der Aufführung komplett verdunkelt war. Es entstand ein magischer Guckkasteneffekt wie man ihn heute vom Kino kennt. Damals war dieses "Licht-aus" ein Skandal, und selbst heute hat das oft noch frappierende Wirkung. Wagner wünschte sich reine Konzentration auf seine Musik, "Entertainment" wie sonst in der Oper üblich, mißbilligte er aufs Schärfste. Selbst das berühmte verdeckte Orchester in Bayreuth entstand nicht etwa aus klanglichen Erfordernissen, sondern um das Licht aus dem Graben abzuschirmen. Vermutlich finden sich aus denselben puristischen Motiven keine Logen, denn die waren und sind sowieso nur zum Flirten und Repräsentieren da. Im Festspielhaus sollte jedoch, so die Idee vor über hundert Jahren, kein Sehen und Gesehen werden zelebriert werden, sondern nur Kunst. Doch was bewegt das heutige Publikum eigentlich dazu, in Scharen auf den Grünen Hügel zu strömen? Etwa das Kunstwerk? Und was findet es hier? Man hat den Eindruck als vollziehe sich hier eine rituelle Handlung, der allerdings jeder Karfreitagszauber abgeht. Das Publikum achtet zwar genau darauf, das nach dem ersten Aufzug niemand klatscht. Aber genauso routiniert werden nach dem ersten Aufzug die Tische im Restaurant für die zweite Pause bestellt. Bayreuth führt eine Art Doppelexistenz: Es ist Szenetreff für Musikliebhaber aus aller Welt. Die wissen sehr wohl, warum sie Wagner wenigstens einmal auch im Bayreuther Festspielhaus erleben wollen. Und es ist auch gesellschaftliches Ereignis der oberen Kategorie. Dagegen wäre eigentlich nichts zu sagen, auch in Salzburg treffen sich die Reichen. Doch dort hat es Mortier geschafft, die Festspiele aus dem musealen und dem Jetset-Betrieb herauszulösen und auch ein junges, begeisterungsfähiges - wenn auch noch nicht ganz so zahlungsfähiges Publikum - anzulocken. Diese Fähigkeit geht Bayreuth ab. Konservieren zählt hier noch immer mehr als Innovation. Die Festspiele tragen schwer an Richard Wagners Vermächtnis.
Andreas Kolb