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Three Inches

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Wann ist ein Ende der Seuche in Sicht? Gestern allein wieder neun Fälle, heute bis Mittag sieben! Im Schatten von SARS breitet sich eine andere Infektion über den Erdball aus, derer man sich als aktiver Internet-Nutzer nur schwer erwehren kann. Sie verbreitet sich über E-Mail und attackiert dabei systematisch die offen liegenden Schnittstellen der Websites, also die allgemein zugänglichen Adressen wie info@ oder webmaster@. Doch sie befällt nicht den Computer, sondern überträgt sich per Klartext und hat direkt das Gehirn der hilflosen Webmaster und sonstigen Empfänger im Visier. Mit andern Worten: Es handelt sich um Werbemails oder Spam.

Es gibt verschiedene Typen dieser infektiösen Informationskrankheit. Von den Trivialversionen soll hier nicht die Rede sein – von der Reklame einer Firma, deren Kunde man einmal war oder von gelegentlichen Veranstaltungshinweisen. Das ist der lebensnahe, sozusagen sympathische Infomüll, ähnlich den Reklamesendungen der Post, die man rasch überfliegt und dann in den Papierkorb befördert.

Eine verschärfte Version davon bildet die „Medienbetreuung“ der wie Pilze aus dem Boden schießenden PR-Kleinagenturen im kulturellen Bereich. Rundfunkanstalten, Plattenfirmen und Veranstalter übergeben ihre Öffentlichkeitsarbeit im Zuge des Outsourcing zunehmend an Außenstehende, vermutlich sogenannte Ich-AGs. Während die höflichen von ihnen erst fragen, ob sie einen in ihren Verteiler aufnehmen dürfen, schießen andere gleich mit der großen Kanone los. Damit wollen sie wohl dem Auftraggeber ihre Tüchtigkeit beweisen. So landet dann in der Mailbox in Oberbayern die großspurige Ankündigung eines sensationellen Events irgendwo in Neukölln und als Zugabe wird auch gleich noch ein Farbbild des Künstlers von 1,3 Megabyte Größe dran gehängt. Der Ärger des ahnungslosen Empfängers steigt proportional zur Download-Zeit dieses Edelschrotts. Dass die Pusher-Lehrlinge damit genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollen, ist ihnen nicht aufgegangen.

Doch hartnäckiger, akuter und unangenehmer sind die internationalen Werbekampagnen, die zunehmend die Postfächer überschwemmen und offenbar strategisch geplant sind. Sie treffen aus allen Kontinenten ein.

Da gibt es einmal die skurrilere Sorte, Typ „Tausendundeine Nacht“. Eine solche Mail beginnt mit den Worten: „Sir, I am Prince Dino Wanga. The son of former minister of finance (Prince Wanga Makabo) of the Republic of...“ rt cetera. Der Prinz schildert mir in bunten Farben sein Missgeschick, dass er auf Grund gemeiner revolutionärer Umtriebe sein Vermögen von 12,5 Millionen Dollar über diplomatische Kanäle nach Belgien schaffen musste. Und nun bedürfe er meiner Hilfe, um das Geld vom Sperrkonto frei zu bekommen. Bei Erfolg erhielte ich 20 Prozent Provision. Das flehende Schreiben endet mit einem ergebenen „God bless you. Prince Dino Wanga.“

Fürstlich belohnte Philanthropie! Werden Hilferuf trotz allem schweren Herzens in den Wind schlägt, hat immer-hin noch die Möglichkeit, aus Hongkong eine vollautomatische Dreschmaschine zu kaufen. Ein höflicher Mr. Wu bietet sie an, wobei er diskret darauf hinweist, er habe aus seriösen Quellen erfahren, dass man exakt an dieser Art von Produkt interessiert sei. Und wie es sich für einen langmütigen Asiaten gehört, schickt er, falls er keine Antwort erhält, die selbe E-Mail eine Woche später nochmals. Klickt man dann auf den Link, mit dem man sich angeblich aus der Mailingliste austragen kann, so kommt man vom Regen in die Traufe: Nun folgen sich die Dreschmaschinen-Angebote im Dreitage-Takt und jedes Mal doppelt. Die Rache des gelben Drachens kennt kein Erbarmen.

Am weitesten fortgeschritten in Verkaufstechnik via E-Mail sind aber wieder einmal unsere amerikanischen Freunde. Wo kämen wir denn sonst hin, wenn sie nicht auch hier Weltmeister wären, sie haben das ganze elektronische Gedöns ja schließlich erfunden. Den psychologisch meisterhaft instrumentierten Überredungskampagnen ist anzumerken, dass hinter ihnen das intellektuelle Kapital ganzer Universitätsinstitute steckt. Zugleich verraten sie etwas von den bewegenden Themen der Zeit. Eine große Nation, so heißt es, hat auch große Träume.

Charakteristisch für diesen quasi-wissenschaftlichen Typ von Spam ist, dass er gar nicht auf den Kopf, sondern ganz woanders hin zielt. Das geschieht mit allen rhetorischen Tricks. Eine Variante beginnt etwa im seriös-besorgten Stil eines „Bunte“-Lebensberaters: „Most men who have troubles or difficulty won’t speak openly to their wives or girlfriends...“ Zwei Zeilen weiter kommt’s dann heraus: Der Penis ist zu kurz! Doch keine Bange, es gibt ein Heilmittel für diese männlichste aller Katastrophen. Die ultimative Pille, die die leidige Angelegenheit in kürzester Zeit beheben beziehungsweise in die Länge ziehen wird. Zielwert ist „three inches“. Ob zusätzlich oder insgesamt, ist nicht ganz klar.

Andere Argumentationsmuster sind zielstrebiger und offenbar für den gestressten Manager gedacht, der knappe Formulierungen wünscht. Schon die Betreffzeile stellt die Sache klar: „Just make it larger“, „Are you not able to get up?“ Der Kern der Message ist jedes Mal derselbe: „Three inches“, offenbar die neue Businessnorm. Der Name des Absenders hingegen ist jedes Mal anders. Vermutlich werden Legionen von Ich-AG-Subunternehmern von der amerikanischen Pharma-Industrie für ihre menschheitsbeglückenden Zwecke eingespannt.

Über die Ursachen und Motive dieser weltweiten Kulturinitiative darf gerätselt werden. Wollen die Amis nach der erfolgreichen Besetzung der irakischen Ölfelder nun auch die Weltherrschaft unter der Gürtellinie erringen? Wollen sie damit einmal mehr die bösen Franzosen abstrafen? Endgültig den unheimlichen Schwarzen Mann entzaubern?

Der Welt zeigen, dass es jetzt für sie nur noch aufwärts geht? Solch himmelstürmenden Fragen kön- nen an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden. Höchste Zeit also, dass die nächste Kolumne wieder mehr Bodenhaftung zeigt. Als Thema bietet sich die Kulturpolitik in Deutschland an. Da weist ja bekanntlich alles nach unten.

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