Jede Komponistin, jeder Komponist weiß, dass manchmal Tage dahingehen können, in denen man rumwerkelt und Dinge ausprobiert, ohne dass etwas Konkretes dabei herauskommt. Es gibt angefangene Stücke, die ewig Fragment bleiben, man probiert Kompositionstechniken aus, aber vor allem lauscht man in sich hinein, um die Musik zu finden, die in einem steckt. Das braucht Zeit und Hingabe. Und vor allem darf man von diesen fürs kreative Arbeiten essentiellen „Schaffenskrisen” nicht abgelenkt werden, man muss sie erleben und sich selber dabei kennenlernen.
Der Alltag eines heutigen Kompositionsstudenten unterscheidet sich sehr vom Alltag früherer Studenten. und läuft konträr zu dem, was Komponisten eigentlich suchen: Ruhe und Konzentration, Stille und dafür notwendige Einsamkeit. Kreatives Arbeiten ist kein Schichtdienst – man kann es nicht mit ECTS-Punkten bewerten und auch nicht nach der Stechuhr beginnen.
Natürlich ist diese Überforderung auch produktiv – ich wäre der Letzte, der der Meinung wäre, dass Komponisten nicht auch im Chor singen oder Partiturspiel üben sollten. Was mir aber eher Sorgen macht, ist die zunehmende Fragmentierung der Aufmerksamkeit, zu der neue Medien ihren Teil beitragen.
Alle Studenten, die ich kenne, nutzen soziale Netzwerke, WhatsApp, Messenger, SMS und E-mails, quasi 24 Stunden am Tag. Die Mobiltelefone, Tablets und Laptops sind stetiger Begleiter, im Übezimmer und in der Kantine. Wenn ich in der (durchaus produktiv zur Terminverabredung genutzten) kompositionsklasseninternen WhatsApp-Gruppe eine Frage stelle, kommt normalerweise innerhalb von Sekunden die erste Antwort. Wenn die Studenten irgendwo warten oder sich unterhalten, ist das Handy immer in der Hand, im Sekundentakt kommen lustige Nachrichten von Freunden, der neueste Hochschulklatsch, coole Videos und Einladungen zu Konzerten von Kollegen und Freunden, von denen immer mehr stattfinden, als man jemals in seinem Leben besuchen könnte. Ich kenne Studenten, die quasi jeden Arbeitsschritt ihrer aktuellen Komposition auf Instagram dokumentieren, und dann auf die darauf reagierenden Kommentare ebenfalls umgehend reagieren. Während die Notenschreibprogramme geöffnet sind, kommen in verschiedenen nebenher geöffneten Fenstern Nachrichten herein, die immer aufs Neue die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Ich gehöre nicht zu den Ludditen, die jede neue Technologie als Teufelswerk betrachten, aber ich sehe die Ergebnisse der ständigen Unaufmerksamkeit in den Partituren meiner Studenten, sodass ich mich oft wiederholen muss in meinen üblichen Mantras, die mehr Liebe zum Detail fordern.
Als neuer Begriff in der Effektivitätsforschung hat sich inzwischen „Deep Work” etabliert, ein von Cal Newport in seinem gleichnamigen Buch verwendeter Begriff, der das Phänomen beschreibt, dass intensives Konzentrieren auf nur eine Sache in langer Hinsicht wesentlich mehr Früchte trägt, als zerfasertes Multi-Tasking, vor allem weil Letzteres oft nur die Illusion von Aktivität vermittelt. Ich wünsche der jungen Generation, von der ich mir selbstverständlich Großes erhoffe, dass sie diese Herausforderung auf lange Sicht meis-tern und dafür sorgen wird, sich wieder neue Oasen der “Deep work” zu erschaffen, wozu sicherlich auch eiserne Selbstdisziplin und Enthaltsamkeit notwendig sein werden. Ich versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen, und beginne gerade damit, mein Arbeitsleben wieder mehr so zu organisieren, dass ich zu längerer Konzentration am Stück komme.
Dazu gehört die Schaffung von festen Zeiten, an denen man Neue Medien nutzt und – was noch viel wichtiger ist – NICHT nutzt. Auch eine Hinwendung zu schweißtreibendem Ausdauersport hilft mir zunehmend, da man da quasi gezwungen ist, an nichts anderes zu denken, was ich als sehr heilsam empfinde. Sich selbst zu verstehen, ist eine der spannendsten Reisen, die man unternehmen kann – ich wünsche meinen Studenten daher von Herzen viele solcher Reisen, in Ruhe und Konzentration. Ihre Musik wird es ihnen danken und uns dann um so mehr erfreuen.