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Tod im Achtelfinale

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Selbst Leute, die mich wenige Tage vor dem Start der WM noch hasserfüllt anguckten, nur weil ich ohne Scham zugab, mich auf die WM zu freuen, rennen heute mit Deutschlandtrikots, Deutschlandfahnen, Deutschlandkäppi, Deutschlandschminke, Deutschland­tangas und anderem mehr oder weniger schwachsinnigen Vaterlandsgedönse in der Gegend herum. Tiefsitzende Minderwertigkeitsgefühle wittern die Chance auf dauerhafte Kompensation und noch mehr. Je kleiner das Hirn, desto größer die Fahne. Das war schon immer so. Das sind Programmierungen des menschlichen Genoms, denen man nur mit der Atomphysik oder Ähnlichem zu Leibe rücken kann.

Beim Abfeiern in den Public Viewing Areas – trotz des Neuen Patriotismus Deutschlands (NPD) meiden wir ja in der Öffentlichkeit unsere eigene Mothertongue, wo es nur geht – ist der König, der den größten und schamlosesten Deppen am Flecken gibt. Und auch das war schon immer so. Dieses Prinzip haben die berichtenden Medien 1:1 übernommen. Netzer & Delling in der ARD sind diesbezüglich noch die Harmlosesten. Lediglich – oder Gott sei Dank – zwei Personen, die sich in grammatikalisch und stilistisch nahezu korrekten Haupt- und Nebensätzen unterhalten, denen auch ein Langsamkapierer wie ich folgen kann. Über den Inhalt mag man streiten, aber das gehört jetzt nicht hierher.

Im Vergleich zur ARD ist das ZDF der nackte Horror. Hier quatschen, quietschen, schnattern und stammeln stets mehrere Leute gleichzeitig und lautstark in Kameras und Mikros. Allen voran der Herr mit den vielen Werbeverträgen, der sich die Gottschalk’sche Maxime „Ich will‘s ja gar nicht wissen, ich will‘s ja nur sagen“ zum Leitartikel seiner lausbubigen und supergutgelaunten Verfassung gemacht hat.

Diese Entwicklung kann man beim ZDF schon seit vielen Jahren beobachten. Und mit dem Ende der WM ist der Sender auf dem Wege zur Königin des Unterschichten-Fernsehens einen Riesenschritt vorangekommen.

Gestern habe ich mir dann die Königin selbst gegeben. WM-Berichterstattung auf RTL. Von zirka 13 Uhr bis 23 Uhr. 10 Stunden. Ich musste allerdings mehrere Pausen einlegen, die gegen Ende immer länger wurden. Sonst würde ich jetzt nicht hier sitzen und diesen Beitrag schreiben. Alter Schwede, da wartet noch einiges an Arbeit auf das ZDF. Je ausgelassener und quietschiger die Stimmung in den vom neuen Patriotismus Deutschlands geschwängerten Straßen, umso mehr widert mich das Ganze an. Und das mir, dem Spross einer Familie mit langer Fußball- und Arbeitertradition.

Ab dem Achtelfinale werde ich meine nicht unumstrittenen Terrassenkonzerte wieder einführen. Darüber berichtete ich bereits in einer meiner ersten nmz-Glossen. Diese zauberhafte Tradition hat in meiner Nachbarschaft bereits zu vielen kontroversen bis handgreiflichen Diskussionen geführt. Ein etwaiges Achtelfinale Deutschland gegen England kann man in ein ganz bezauberndes musikalisches Kostüm packen. Unsere Terrasse ist eigentlich keine, geht sie doch zum 2. Stock hinaus. Doch dieser Terminus hat sich so eingebürgert, da auch eine Art Garten vorgelagert ist. Die Begrenzungsmauern bilden eine wunderschöne Egorampe, die für meine umjubelten Auftritte einfach ideal ist. Die Nationalhymnen begleitete ich mit meiner Gibson SG und habe dabei die Röhrenvorstufe meines Verstärkers bis zum Anschlag aufgerissen. Die kreischenden Feedbacks lassen Woodstock-Feeling aufkommen und Hendrix‘ Interpretation der vom Vietnamkrieg blutgetränkten Amiflagge liegt wie eine auf das Trommelfell trommelnde Trommel und an den Gehörknöchelchen sägende Säge über unseren Häusern. Mein Spiel ist so perfekt, dass es die Nachbarschaft zunächst nicht merkt. Die ersten 15 Spielminuten begleite ich mit einer Dark-Metal-Durchhalteversion von Tony Marshalls „Heute hauen wir auf die Pauke“. Meine Stimme lege ich digital eine Oktave tiefer und gröle furchteinflößend in den schwülen Abendhimmel:

Today we beat se kettledrums
We will make srough til tomorrow dawn,
Today we beat se kettledrums
We will make srough til tomorrow dawn.

Immer wieder und immer wieder. Im gleichen Moment, in dem Rio Ferdi-
nand per Kopfball die Pille im deutschen Tor versenkt, peitscht ein Schuss durch die flimmernde Luft. Tödlich getroffen stürze ich ins Leere. Und gerade wollte ich mich wundern, warum das denn so lange dauert.

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