Bedrohlich wird es ja immer, wenn die TV-Anstalten oben rechts einen Balken einblenden. Für mich ein Zeichen, sofort die Gasmaske aufzusetzen, in den hauseigenen Bunker zu stolpern und den Dieselgenerator anzuwerfen. Fatalistisch wird es, wenn sich zum Balken noch Politik, Nachrichten und Weltgeschehen einblenden und an der Popmusik vergreifen. Ich stehe also am Samstag („Der Tag Eins danach“) mit einem Fuß im ABC-Schutzmantel und drücke den Riechkolben in die Maske, als das ZDF gegen zehn Uhr abends in einer speziellen Spezialsendung einen obszönen Versuch unternimmt, sich aufzuhübschen. Katastrophenbilder werden mit lakonischer Musik der britischen Tonsparer „Massive Attack“ unterlegt. Ihre Single „Teardrop“ aus 1998 (der jüngste ZDF-Redakteur konnte sich erinnern) verziert jene Bilder, die noch Jahre unfassbar bleiben werden.
Und weil kopieren „en vogue“ ist, wollte sich das ZDF beizeiten den offiziellen Soundtrack zur Tragödie sichern (bald als Dokutainment inklusive einer „Ein-Euro-Spende für Japan“ in einer Spendengala mit Thomas Gottschalk kaufbar). Man rief sich also den Einsturz des World Trade Centers (auch „Krieg gegen die Zivilisation“ genannt) ins altersteilzeitliche Redaktions-Gedächtnis. Küsste nicht einst RTL das Popprinzesschen Enja und deren Schmonzette „Only Time“ aus dem berechtigten Popschlaf? Leider. Und deshalb nun das ZDF als plagiatorischer Popentdecker? Mitnichten. Der hemdsärmelige Versuch ist nicht konsequent zu Ende gedacht. Wenn Popmusik, dann bitte passende. Songs wie „I still haven’t found what I’m looking for“ (U2), „Little Earthquakes“ (Tori Amos), „It’s the end of the world“ (R.E.M.) oder „Like a rolling stone“ (Bob Dylan) wären japanesker gewesen. Da ist noch Luft nach oben, liebes ZDF. Deshalb hier rubrikübergreifende Anregungen: Wenn die ersten Atomwölkchen übers Festland schweben, böten sich „Dust in the wind“ (Kansas), „Bright Eyes“ (Simon & Garfunkel) oder – etwas dramatischer – „The Final Countdown“ (Europe) an.
Berichte über Kabinettssitzungen könnten mit „Welcome to the jungle“ (Guns N’ Roses) geklammert werden, künftige Kirchen-Skandälchen fänden mit Bruce Springsteens „Human Touch“ eine kritische, mit „When the saints go marching in“ eine frivole Würdigung. Die Jagd auf Gaddafi wäre mit Bon Jovis „Wanted dead or alive“ zielgerichteter und Mubaraks Flucht fände mit „Don’t look back in anger“ (Oasis) oder „Born to Run“ (Springsteen) einen würdigen Schlusspunkt. Gut, Späßle g’macht. Ernste Themen natürlich. Trotzdem. Eine ungestrafte Tölpelhaftigkeit im Gemenge zwischen Pop, Politik und Welt bleibt wohl für alle Zeiten unvermeidlich. Wie sonst könnte „Copiator“ Guttenberg mit „Smoke on the water“ abtreten, wo er doch „Alles nur geklaut“ (der fast einzige Hit der Prinzen), „The Great Pretender“ (Freddie Mercury) oder den „Schaumschlägerwalzer“ verdient hätte. Liebe Mainzer, Pop-Katastrophen gibt es genug. Siehe Lena. Lasst die Bilder alleine.