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Eigentlich hätte man trotz Thomas Bernhards „Heldenplatz" nicht gedacht, dass es wieder einmal so weit sein könnte. Doch es ist Faktum: Die Autorin Elfriede Jelinek untersagt Aufführungen ihrer Stücke in Österreich, Gerard Mortier verlässt vor-vorfristig die Salzburger Festspiele. Peter Ruzicka, designierter Nachfolger Mortiers, äußert sich mit diplomatischer Wendigkeit: Zurückzuweichen sei jetzt der falsche Schritt. Kein Wunder, hat er doch eben mit Plänen und Projekten im Kopf den Ruf nach Salzburg angenommen, den man nach eigenen Worten nicht ablehnen könne. Und der immer mehr im literarischen Niemandsland versackende Franz Xaver Kroetz würde sogar ganz gern mit Haider ein Bier trinken – lieber jedenfalls, als mit Schüssel.
Die Regierungsbeteiligung, in die die FPÖ fast versehentlich hineinschlitterte, weil SPÖ und ÖVP auf dem Misthaufen ihrer Politik keinen Konsens mehr finden konnten, trat diese drastischen kulturellen Maßnahmen los. 1933 liegt offenbar doch nicht so fern. Auch damals war es übrigens verbreitete Meinung, die Rechten würden sich nicht lange halten.
Was auffällt und schon damals auffiel ist die seismografische Reaktion der Kultur auf die politischen Ereignisse. Haiders Regierungsbeteiligung in Österreich füllt derzeit fast mehr Spalten der Feuilletons als im politischen Teil. Und wenn Minister der ÖVP ihren europäischen Kollegen raten, Haider einfach nicht zu beachten, ihn links (oder rechts?) liegen zu lassen, so mag das die Politik als praktikablen Rat verstehen. Dort hat man auch schon das passende Emblem für die neue Situation kreiert: Rechtspopulismus. Was ist das eigentlich? Steht das Volk ohnehin rechts, und redet man ihm so nur nach dem Mund. Oder wird rechte Gesinnung populär verpackt? Die Fragen verlangen keine Beantwortung, denn der Begriff erfüllt auch so seinen Zweck. Indem man Haider als Rechtspopulisten tituliert, wäscht sich die Politik von ihrer Verantwortung rein. Die Ausrede, dass man alles habe kommen sehen, steckt in der Benennung ebenso, wie ein demnächst vielleicht notweniger weiterer Kotau vor Haider.
Kunst, die ihren Namen verdient, aber kann das nicht. Gehört es doch zu ihren fundamentalen Säulen, zu ihren obersten Qualitätsbestimmungen, dass sie auf die Strömungen der Zeit nicht mit aalglatter Wendigkeit, sondern mit bohrender Schärfe und feiner Sensibilität reagiert. Kunst im emphatischen Sinne kann nicht lügen – oder anders: Kunst, die zu lügen versucht, nimmt sich selbst ihr Seinskriterium. Da also Kunst – im Gegensatz zur Politik – aus ihren immanenten Voraussetzungen her so reagieren muss, stehen fraglos weitere Konfrontationen ins Haus.
Und es ist abzusehen, dass die Verwerfungen in Österreichs reicher Kulturlandschaft noch längst nicht an einem Ende angelangt sind. Was wird, so muss man besorgt fragen, aus dem Steirischen Herbst, aus Wien Modern, aus den vielen kleinen Festivals, die sich dem zeitgenössischen Schaffen in der Musik widmen. Denn fraglos werden dort Arbeiten auftauchen, die sich noch intensiver als bisher mit Haiders Politik und ihrer massiven Verwurzelung in Teilen der Bevölkerung auseinandersetzen. Schweigen kann Kunst nicht, allenfalls kann sie sich verweigern – oder sie wird zum Schweigen gebracht. Das könnte zumindest in Bezug auf einzelne Arbeiten schneller Methode werden, als wir denken.
Die Nachbarländer sind zu solidarischer Haltung aufgefordert. Der EU-Ratschlag, man solle sich doch überlegen, ob man nicht auch anderswo Ski fahren könne, sollte durch Projekte ergänzt werden, die die Künstler mit erschwerten Bedingungen in Österreich durch Darbietungen außerhalb ihres Landes unterstützen. Nicht dass wir wieder einmal lügen müssen, wir hätten nichts gewusst.