Es ist jetzt ein Jahr her, dass ein Buch in die Kulturwelt einschlug wie ein Meteorit auf dem Mond. Es war darin von einem Kulturinfarkt die Rede. „Von allem zu viel und überall das Gleiche“ hieß es im Untertitel. Die Aufregung war groß und sie ging schnell vorbei. Die Analyse war in Teilen nicht schlecht, im Ganzen verfehlte sie ihr Ziel – handwerkliche Fehler kamen hinzu. Eine Staubwolke war es am Ende. Hätten die Autoren etwas mehr historisches Bewusstsein an den Tag gelegt, ihnen wäre etwas anderes aufgefallen.
Bis in die 80er Jahre hinein war die (Kultur-)Welt zwar nicht in Ordnung, aber sie hatte eine. Produzenten auf der einen Seite, Rezipienten auf der anderen. Die Verbindung war direkt, aber sie war mit der Zeit brüchig geworden. Man war nicht in gegenseitiger Beziehung – einer Art elitärem Club von Machern stand ein größer werdender Teil Menschen gegenüber, die sich nach „anderem“ umschauten. Die Postmoderne wollte diesen Bruch kitten, indem sie die Produktionsseite öffnete für alle kulturellen Welten. Der Begriff der Kultur zerfaserte, die Beliebigkeit (oder Ignoranz) ersetzte die Auseinandersetzung.
Mit den Folgen der kulturellen Zersplitterung kämpfen wir heute. Zwischen den Produzenten und Rezipienten hat sich eine neue Kulturvermittlungsarmada gebildet. Projekt um Projekt wird initiiert als Symptombekämpfung. An die Stelle der selbstorganisierten Öffentlichkeit treten die privaten Agenten: Sparkassen, Banken, Gönner, Stiftungen.
Sie gilt es nun ins Boot zu holen, aber ihr Interesse ist selten uneigennützig. Im Vermittlungsgeschäft werden vielmehr Gelder verbrannt. Der Zwischenhandel ist auf dem Weg zur Selbstzweckorganisation. Man muss die Kultur managen. Und das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Kultur sein könnte oder sollte: Nämlich Eigenaufklärung eines sonst kulturell sinnlosen Lebens. Die Kulturregale sind voll, aber die Produkte sind leer – ihr Sinn und Nutzen bedarf der Deklaration.
Der Bieber baut mit Drittmitteln seinen Damm am kleinen Rinnsal, während die Herde über ihn hinweg trampelt ins Licht der schmerzfreien Berieselung durch die röhrenden Hirschen von heute wie Lena, Dschungelcamp, Kochshow und Co. – der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich angepasst. Das ist der wirkliche Kulturinfarkt. Nur hat er nichts mehr mit Kultur zu tun.