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Unerträglich pauschal

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Leserbrief zum Editorial von Gerhard Rohde: S. 1, nmz 10/00
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Der Artikel „Unanständig“ ist wegen seiner fehlenden Sachkenntnis und seiner Pauschalisierungen („Alle sind unanständig“) unerträglich!

Anders als Herr Rohde möchte ich mich nur zu dem Fall äußern, über den ich etwas genauer informiert bin: Barenboim hat sein Bleiben in Berlin nicht von zehn Millionen Mark abhängig gemacht. Wenn Sie sein ausführliches Interview in der „FAZ“ gelesen hätten, wüssten Sie, dass er nie den Betrag zehn Millionen genannt hat. Er hat im Wesentlichen zwei Forderungen:

1. Die Anhebung des Gästeetats, damit Sänger, die man selbstverständlich in London und Paris hören kann auch in Berlin engagiert werden können. Über die Höhe der Anhebung dieses Etats lässt Barenboim durchaus mit sich reden.
2. Die Angleichung der Staatskapelle an andere vergleichbare Orchester (nicht wie Sie böswillig unterstellen, an die Berliner Philharmoniker, sondern an München oder auch im Osten Leipzig und Dresden). Dabei geht es um 3,5 Millionen Mark. Nur an diese Forderung hat Barenboim sein Bleiben in Berlin geknüpft.

Seit Jahren wird diese Angleichung versprochen. Es ist deshalb kein Wunder, wenn sich nun nach langem Hinhalten die besten Solospieler der Staatskapelle zu Probespielen in anderen Orchestern anmelden, wo sie im Monat 1.300 Mark mehr verdienen. Wenn dann deren Stellen von mittelmäßigen Musikern besetzt würden, könnte ein Absinken des Niveaus des traditionsreichsten deutschen Opernorchesters nicht ausbleiben. Eine Korrektur wäre auf lange Sicht nicht möglich, denn die wichtigsten Stellen wären dann auf Jahre hinaus besetzt.

Sollte Barenboim mit seiner Forderung nicht erfolgreich sein, so würden Sie wahrscheinlich zu den Ersten gehören, die bei seinem Abschied, ohne mit der Wimper zu zucken, schreiben würden: „Die Berliner Staatskapelle ist nicht mehr das, was sie war, als Barenboim sie übernommen hat“. Ein Orchester, dessen Konzert in Japan von den Kritikern neben großer internationaler Konkurrenz (unter anderem auch Berliner Philharmoniker) zum besten des Jahres erkoren wurde, ein Orchester, das aus der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ als das beste des Jahres hervorging, würde zum Mittelmaß absinken.

Ich verstehe nicht, warum ausgerechnet Sie als Musikzeitung Herrn Barenboim bei seinem Bemühen, das zu verhindern, in den Rücken fallen. Sie sollten die Alarmglocken läuten, damit Barenboim Berlin erhalten bleibt. Was große Namen betrifft, läuft München schon lange der Hauptstadt den Rang ab.

Anders als Herr Rohde meint, liegen die Probleme hier doch eindeutig auf Seiten der Politik, in der es zu keinem Entschluss kommt, weil sich die Stadt Berlin und der Bund den schwarzen Peter zuschieben. Hätte die Stadt Berlin nicht für den Bau einer U-Bahn drei Milliarden buchstäblich in den Sand gesetzt (sie wird nicht fertig gestellt und offensichtlich auch nicht so dringend gebraucht), so könnte sie viele Opern sanieren.

Ich kann nichts „Unanständiges“ darin sehen, wenn ein Chefdirigent um die Qualität seines Orchesters besorgt ist. Unanständig ist demgegenüber, wenn ein Journalist aus Profilierungssucht einen schmissigen Artikel schreibt, ohne vorher sorgfältig recherchiert zu haben. Aber warum braucht denn unsere Hauptstadt überhaupt Spitzenorchester? Sie hat doch die „Loveparade“. Weiter so!

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