Hauptbild
Auch Aldi erwägt, die Aufnahme seines Mini-Orchesters in die UNESCO-Welterbeliste zu beantragen. Foto: Hufner
Auch Aldi erwägt, die Aufnahme seines Mini-Orchesters in die UNESCO-Welterbeliste zu beantragen. Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

UNESCO-Manöver im Harz

Untertitel
Nachschlag 2015/02
Publikationsdatum
Body

Man ist ja dankbar für jedes Fünkchen Hoffnung, das einem im Jammertal der alltäglichen Kulturberichterstattung das Herz erwärmt. Als verfrühtes Weihnachtsgeschenk kam da Mitte Dezember jene Frohbotschaft gerade Recht, die diverse Musikverbände zu verkünden hatten. Aus stolz geschwellten Pressemitteilungen ward da zu vernehmen, die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft sei ebenso wie die Chormusik in deutschen Amateurchören zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden. Bei näherer Betrachtung stellte sich freilich heraus, dass es sich zunächst einmal um deren Aufnahme in das „Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes“ handelt. Immerhin, besser als nix.

Die Ehrfurcht steigerte sich jedoch erneut erheblich, als man gewahr wurde, in welch illustren Kreis sich Theater, Orchester und Chöre damit auf Anhieb hatten katapultieren können: Denn in dieses, seit Deutschlands Beitritt zum entsprechenden UNESCO-Übereinkommen erste nationale Verzeichnis haben es nur 27 weitere Kandidaten geschafft, darunter das „Finkenmanöver im Harz“, das nordfriesische „Biikebrennen“ und die „Auseinandersetzung mit dem Rattenfänger von Hameln“.

Das brachte zwangsläufig eine weitreichende, gedankliche Assoziationskette in Gang: Wenn Orchester und Chöre den Sprung auf eine der drei exklusiven internationalen UNESCO-Listen schaffen wollen – als erste deutsche Nominierung hierfür wurde ausgerechnet die „Genossenschaftsidee“ auserkoren – müssen Bündnisse geschlossen, Synergieeffekte angestoßen werden. Einige Vorschläge:

Die Deutsche Orchestervereinigung sollte dringend Rattenfänger-Workshops für Musikvermittler einführen, zusammen mit dem Bäckerhandwerk gegen brotlose Kunst auf die Straße gehen und ihre Kommunikation nach außen ab sofort auf Morsetelegraphie umstellen. Der Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände wiederum sei dringend geraten, Kompositionsaufträge für das Malchower Volksfest, das Peter- und Paul-Fest in Bretten und die Lindenkirchweih Limmersdorf zu vergeben – mit der Auflage, in den einzureichenden Werken Finken- und Falkenrufe in gut sangbare vierstimmige Sätze umzuformen.

Schmerzlich vermisst haben wir in der nationalen Liste das unvergleichliche deutsche Musikwettbewerbswesen. Als Anregung für eine Erfolg versprechende Antragstellung seien Auszüge aus der Beschreibung des bereits erwähnten „Finkenmanövers“ zitiert: „Die Finkenwettbewerbe enthalten zwei Wettkampfdisziplinen: die Schönheitsklasse und die Kampfklassen. Die Kampfklasse zerfällt in zwei Klassen, die Starkklasse und das Distanzsingen. Nur männliche Buchfinken erlernen und tragen Gesänge vor (…). Der Gesang des einzelnen Finken, der Finkenschlag, wird im Schönheitswettbewerb im Hinblick auf die Vollständigkeit seiner Gesangsteile (Eingangssilben, Übergang, Mittelteil, Ausklang), die Sauberkeit des Vortrags und die richtige Tonlage der Gesangsteile über einen Zeitraum von fünf Minuten bewertet. (…) Innerhalb der Starkklasse (Kreissingen) werden die Finken am frühen Morgen in einem abgesteckten Kreis im Abstand von mindestens einem Meter auf den Erdboden gestellt. Nach etwa fünf Minuten werden die noch schlagenden Finken in den nächst engeren Kreis gesetzt. Finken, die nicht mehr singen, scheiden aus.“

Des Weiteren behält sich die nmz-Redaktion vor, der UNESCO sein traditionelles Bockbierfest zur wohlwollenden Prüfung vorzulegen. Eine entsprechende Delegation ist herzlich eingeladen, sich im November ein Bild von dieser traditionell überaus kulturhaltigen und geistreichen Brauchtumspflege zu verschaffen. Delegationsmitglieder, die nicht mehr trinken, scheiden aus.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!