Vor Kurzem bekam unsere Hochschule die Mail einer Privatperson: Junge Komponierende gesucht für einen privaten Kompositionsauftrag für großes Orchester, die Musik solle „schön“ sein. Da ich meinen Studierenden immer alle Gelegenheiten weiterleite, tat ich dies auch hier, wobei ich über die Formulierung „schön“ ein wenig schmunzeln musste.
Meine Kompositionsklasse – ausgehungert nach Möglichkeiten in der dürren Corona-Zeit – störte sich anscheinend nicht an dem dringlichen Schönheitswunsch der Ausschreibung. Nach und nach erfuhr ich von der einen und dem anderen, dass sie sich schüchtern bei dem Urheber der Mail nach dem Auftrag erkundigt hatten. Dieser hätte daraufhin angeboten, einen „Vorschuss“ zu zahlen, damit sie gleich loslegen könnten. Nun erkundigten sich die Studenten bei mir, was man da so nehmen könne. Ich verwies sie auf die verlässlichen Honorarrichtlinien des Deutschen Komponistenverbandes, worauf sie aus dem Staunen nicht mehr herauskamen, denn der mysteriöse Auftraggeber akzeptierte diese sofort. Dies resultierte wohl in Vorschüssen von nicht unbeträchtlicher Größe, normale studentische Erwartungen weit übertreffend. Soweit ich weiß, wurden diese auch schon gezahlt.
Immer neue Details des Auftrages kamen in vielen beratenden Einzelgesprächen ans Licht – gleich vier Studentinnen und Studenten hatten sich wohl beim Auftraggeber gemeldet, allen (!) versprach er einen Auftrag. Anscheinend handelt es sich um einen ehemaligen Zahnarzt, dessen Frau zu früh verstorben ist und die mit dem Stück posthum geehrt werden soll. Auch eine Melodie des Auftraggebers wurde übermittelt, diese „erinnere ihn an seine Frau“ und solle optional Teil des Werkes werden.
Natürlich riet ich meinen Studenten dringend, den Herren doch mit ihrer jeweiligen Musik vertraut zu machen, nicht dass es da irgendwelche Enttäuschungen gäbe, wenn diese nicht „schön“ genug sei. Aber anscheinend ist der Auftraggeber voll Vertrauen in das deutsche Hochschulsystem, allein die Tatsache, dass jemand bei uns studiert, ist ihm Pedigree genug. „Ist denn eine Aufführung geplant?“, fragte ich? Alle zuckten mit den Achseln, es gäbe da wohl „Pläne“ bei einem bedeutenden Festival, man hätte ihnen gesagt, dass sich der Intendant bald bei ihnen melden würde. Mehr wüssten sie auch nicht, aber der Auftraggeber ließe ihnen alle Freiheiten und sei willig zu zahlen.
Ich muss gestehen – ich glaube erst an eine Aufführung dieser Werke, wenn diese tatsächlich stattfindet. Bis heute bin ich auf die Berichte meiner Studierenden angewiesen, da ich nach wie vor keinen Kontakt mit dem mysteriösen Mäzen hatte. Die ganze Geschichte klingt unglaublich, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber wer bin ich, meinen Studierenden in diesen schwierigen Zeiten keine großzügigen Honorare zu gönnen? Und warum bin ich eigentlich misstrauisch? Der Mäzen scheint willens zu zahlen, sein Wunsch ist unschuldig genug. Ist nicht die Musikgeschichte voll von ähnlichen Geschichten? Haben nicht Komponisten wie Beethoven oder Schubert quasi von solchen privaten Aufträgen gelebt?
Seien wir ehrlich: Würde einen heute jemand anrufen und privat beauftragen, eine kleine Nachtmusik gegen Schlaflosigkeit zu komponieren, würden da die meisten nicht die Nase rümpfen? Aber sind nicht exakt so die „Goldberg-Variationen“ entstanden, eines der sublimsten und schönsten Werke der Musikgeschichte?
Vielleicht brauchen wir gerade in diesen unsicheren Zeiten wieder eine neue positive Kultur des privaten Mäzenatentums. Bei unseren Studierenden ist dieses Geld bestens aufgehoben – sie brauchen es alle wirklich und dringend. Und wenn man damit einem Menschen eine Freude macht und hoffentlich auch noch ein schönes Werk entsteht, dann können eigentlich alle zufrieden sein.
Es könnte sehr gut sein, dass wir uns schon bald mehr nach privatem Mäzenatentum sehnen werden.