So wenig Aufnahmeprüfung war noch nie. Wir Professoren wussten schon lange, dass es dieses Jahr anders werden würde. Die Prüfungen Anfang Juni waren abgesagt worden, dann gab es ein langes Hin- und Her, wie man denn nun eigentlich Aufnahmeprüfungen durchführen kann unter Corona-Bedingungen. Jede Hochschule legte die jeweiligen Länderregeln anders aus, manche strenger, manche weniger streng. Manche erlaubten Prüfungsvorspiele per Video, manche lehnten das kategorisch ab.
Gerade in diesem Jahr hatte es sehr viele wirklich interessante und hoffnungsvolle BewerberInnen im Fach Komposition gegeben, aber man konnte nicht sicher sein, wer von ihnen nun angesichts der aktuellen Reisesituation überhaupt kommen konnte. Wir hatten fast alle eingeladen, in der Hoffnung, dass dann wenigstens ein paar erscheinen würden.
Die beiden Aufnahmeprüfungstage waren dann genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Münchener Musikhochschule war so leer wie noch nie. Allgemein herrschte große Unsicherheit angesichts der Coronaregeln: verunsicherte Studenten, die nicht wissen, ob sie nun bei der Prüfung die Maske abnehmen können oder nicht (die auffallend wenigen asiatischen Bewerber*innen behielten sie alle eisern auf), lange Pausen, um zu lüften, den Flügel zu desinfizieren usw.
Wir gaben unser Bestes, den Studierenden ein Gefühl von Wärme und Unterstützung zu geben, aber es war spürbar, dass alle besonders nervös waren. Und Prüfung ist immer noch Prüfung, selbst unter solchen Bedingungen. „Improvisieren Sie etwas, das wie Glockengeläut in einem Bergtal klingt“, fordere ich einen Bewerber auf. Was er spielt, klingt aber eher wie ein trauriger Walzer aus einem Café am Markusplatz. Missverständnis oder Absicht? Schließlich hatte Norditalien die meisten Coronatoten.
An diese seltsamen Tage werden sich sicherlich viele erinnern. Gleichzeitig spricht es auch für den oft vermissten menschlichen Zusammenhalt in diesen Zeiten, dass man das Ganze – so skurril es auch ist – doch irgendwie hinbekommt, wenn auch mit kleinen Schönheitsfehlern.
So habe ich zum Beispiel einen russischen Studenten, der gerne zur Prüfung einreisen würde, es schlicht und einfach aber gar nicht kann, da er für die 20 Minuten Prüfung zwei Wochen in Quarantäne gehen müsste (was er sich im teuren München nicht leisten kann). Erst nach langen Diskussionen konnten wir diesem Studenten irgendwann versprechen, eine Prüfung per Video zu machen an einem Nachholtermin, gottseidank, denn zuerst sah es so aus, als ob streng interpretierte Prüfungsstatuten das nicht erlauben. Aber was bringt es, zu solchen Zeiten an allen Regeln gnadenlos festzuhalten? Hilft man nicht auch den Restaurantbesitzern, wenn man momentan die Regeln für die Platzierung von Tischen auf dem Bürgersteig großzügig übersieht, einfach, damit sie Gäste draußen bedienen können, wo es einfacher und sicherer ist? Je härter bestimmte Bestimmungen werden, desto „weicher“ müssen andere ausgelegt werden. Alles andere wäre unmenschlich. Bei Corona geht es überhaupt nicht darum, dass alle nur noch streng Regeln befolgen müssen, es geht darum, den Sinn von Regeln anzuerkennen und ihn möglichst menschlich zu interpretieren, je nach Situation.
Am Ende haben wir doch einige sehr gute KandidatInnen aufgenommen. Aber in den folgenden Wochen sagen wieder viele davon ab – die Münchener Aufnahmeprüfung war eine der letzten und diese Studenten mussten anderen Hochschulen schon zusagen. Schade. Aber keiner von uns weiß, wie das nächste Semester wird, wann es überhaupt wieder normal zugehen wird. Ich denke es wird schlimmer, bevor es wieder besser wird.