Die Kompositionsklassen Deutschlands verschmelzen in diesen Zeiten immer mehr zu einer einzigen Klasse, zumindest im virtuellen Raum. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich werde häufiger als früher als Gastdozent in andere Städte eingeladen. Allerdings erscheine ich dort nicht wie früher nach einer Reise dorthin, sondern nur für ein paar Stunden als Pixelgast auf dem Bildschirm.
Und auch nicht alle Student*innen befinden sich dann dort, wo ich zugeschaltet werde – auch sie sind zugeschaltet, von allen möglichen Orten. Und wenn – wie neulich – Maximilian von Aulock von Ricordi wiederum meinen Studenten Tipps zur geschäftlichen Praxis unseres Berufs gibt, sind wie selbstverständlich auch Studenten aus anderen Städten als spontane Gäste dabei, Zoom macht’s möglich.
Man fragt sich, ob es – ähnlich wie bei der zunehmenden Erkenntnis, dass Home-Office ja gar nicht immer so schlecht funktioniert – sich auch im Bereich der Hochschulausbildung eine neue Kultur des virtuellen Austauschs etablieren wird, die viele frühere Rituale des gelegentlichen gegenseitigen Einladens ersetzen könnte. Auch für Hochschulen sind Zoom-Konferenzen billiger, und wenn man nun häufiger als früher virtuelle Gastdozent*innen einlädt, heißt das ja nicht, dass man auf die „analoge“ Einladung für längere Workshops in Zukunft verzichten muss.
Auch in meiner neuen Rolle als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes weiß ich zu schätzen, dass ich nicht wie früher immer wieder zu Vorstandssitzungen reisen muss (was immer viel Zeit in Anspruch nimmt), man sich dafür aber regelmäßiger virtuell austauscht. Oft sind diese Online-Diskussionen sogar effektiver, weil der nicht sehr spannende Bildschirm einen schnell dazu bringt, zum Punkt zu kommen, wogegen man sich in einer Live-Situation oft in Small Talk ergehen würde, um nicht unhöflich zu wirken. Nichts gegen Small Talk natürlich – der ist in einer entspannteren und weniger auf „Ergebnis“ angelegten Situation sehr wichtig für die Entwicklung gegenseitigen Vertrauens.
Es ist sicher so, dass eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht nicht durch einen Bildschirm ersetzt werden kann. Den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen und seine Studenten so zu unterrichten kann zermürbend und eintönig sein, für beide Seiten. Und eine Veranstaltung wie zum Beispiel der GEMA-Autorenpreis (die von den vielen Begegnungen und dem gemeinsamen Feiern lebt) ist virtuell unvorstellbar, da dann genau das fehlt, was diese Zeremonie eigentlich ausmacht: das Gefühl der Gemeinsamkeit.
Aber die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte: Vorstellbar wäre etwa, dass die grundsätzliche Praxis der momentanen Vernetzung beibehalten wird, man aber sich auch bewusst immer wieder persönlich trifft, quasi das Beste aus beiden Welten mitnehmend. Kompositionsklassen könnten sich nicht nur deutschland- sondern weltweit austauschen. Man könnte nicht nur sehen, was die anderen so treiben, sondern sich auch gegenseitig anregen und inspirieren lassen. Ich persönlich wache nicht wie eine Glucke über meine Studenten, binde ihnen auch keine Leine an, mit wem sie sprechen oder korrespondieren dürfen. Wenn sie auch andere Komponist*innen um Rat fragen, finde ich das sehr positiv. Viel zu oft kochen aber Studenten ein bisschen „im eigenen Saft“, bekommen nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes der ästhetischen Diskussion mit. Das ist kein böser Wille ihrer Lehrer – es ergibt sich einfach daraus, dass jede Kompositionsklasse ihren eigenen „Stil“ und ihre eigenen Kommunikationsmodi entwickelt, was ja auch gar nichts Schlechtes sein muss. Aber es wäre doch schön, sich ab und zu auch daran zu erinnern, was „draußen“ so vor sich geht. Wenn wir schon nicht so viel raus dürfen im Moment …