In dem Artikel wird über ein Schulkonzertprojekt der Wiener Symphoniker berichtet, das eine alte Musikvermittlungstradition (die man damals freilich noch nicht so nannte) wieder aufleben lässt und Tschaikowskys 6. Symphonie „Pathétique“ zentral thematisiert, gewiss ein spannendes und nachahmenswertes Projekt.
An einer Stelle heißt es jedoch: „Schwierige Themen wie Tschaikowskys Homosexualität und die Umstände seines Todes werden dabei ausgeklammert.“
Ich muss den Satz zwei Mal lesen. Die bedeutsamsten, eindrucksvollsten und berührendsten Kontexte der Werkgenese und ein zentrales Lebensthema Tschaikowskys werden – „ausgeklammert“? Sicherlich kann man die Symphonie aus unterschiedlichen Blichwinkeln beleuchten, als absolutes Werk betrachten und die Umstände gewissermaßen „neutralisieren“.
Aber ist hier nicht die Chance verpasst worden, die Jugendlichen bei einem ihrer zentralen Themen abzuholen - die Identitätsbildung von Sexualität - und damit möglicherweise einen Beitrag gegen die wieder wachsende Homophobie in der Mitte unserer Gesellschaft zu leisten? Sind Verzweiflung, Not, Orientierung, Ausgrenzung keine Themen für Jugendliche?
Warum die Angst, Jugendliche gerade in diesem Kontext nicht dort abzuholen, wo sie sind? Ist das ein weiteres Anzeichen der um sich greifenden Hysterie zum Thema „Sexualität und Jugendliche“? Dabei könnte man Tschai-kowskys Sexualität – und: ja, sie geht die Gesellschaft etwas an, weil „die Gesellschaft“ ihn darin zeitlebens unterdrückte – auf ganz natürliche Weise thematisieren, wie schon vor 15 Jahren geschehen: In dem Hörspiel „Anders als die andern. Der Fall Tschaikowsky, aus der Reihe „Krimis in Dur und Moll von Lutz Gümbel und Jochen Hering, Deutsche Grammophon (u. hessischer Rundfunk) 459 805-2
Simon Kannenberg, Hamburg