Dass uns weiterhin anonyme Leserbriefe zur JeKi-Disskussion erreichen, scheint ein Indiz für die Situation an den betroffenen Musikschulen zu sein, weshalb wir uns entschieden haben, ein weiteres Mal eine solche, nicht namentlich gekennzeichnete Meinungsäußerung abzudrucken. Im JeKi-Blog der nmz hat sich außerdem Christian de Witt zum selben Artikel geäußert. Er schreibt unter anderem: „Jeder (Instrumental-)Unterricht hat bestimmte Anforderungen und Zielsetzungen. Alle, die sich diesen Anforderungen nicht stellen können oder wollen, werden (ihr Instrument) nicht erfolgreich (er-) lernen können. Es ist unverantwortlich, mit dem Argument keinen auszuschließen, erst gar keine Ziele und Anforderungen zu nennen.“ Jeki oder nie-Blog der nmz.
Arme JeKi-Stiftung! Wer so viele Wörter benutzt und damit so wenig sagt, ist wirklich zu bedauern. Wer darüber hinaus noch so viel Unwahres verbreitet, scheint einiges verbergen zu wollen. Ich möchte vorausschicken, dass ich den Grundgedanken, den Zugang zur Musik möglichst vielen Kindern zu ermöglichen, für sehr erstrebenswert halte und gerne daran mitarbeite, diesen auch umzusetzen – aber bitte ohne die unzähligen handwerklichen Fehler des Ruhrgebiets-JeKi, unter denen Kinder, Eltern, Kollegien, Grundschulen und Musikschulen so sehr leiden. Ich beschränke mich auf einige Aussagen der Jeki-Stiftung, da sonst der Rahmen eines Leserbriefs gesprengt würde.
1. In der zweiten Überschrift wird behauptet, dass dieser Artikel auch eine Stellungnahme der beteiligten Musikschulen sei. Dies trifft zumindest für die Musikschule Bochum nicht zu, deren Leiter sich dem Kollegium gegenüber von diesem Artikel ausdrücklich distanziert hat.
2. JeKi soll zusätzlich zum bisherigen Musikschulangebot stattfinden. Fakt ist, dass an vielen Musikschulen der Kernbereich zugunsten von JeKi abgebaut wird und deswegen die Kinder aus dem JeKi-Projekt auf den immer längeren Wartelisten landen. Hier von Nachhaltigkeit zu sprechen ist zynisch.
3. „300 neu entstandene Beschäftigungen“ klingt gut und erinnert etwas an die Arbeitsamtstatistik. Aber was sind das für Beschäftigungen? Viele neue Kolleginnen und Kollegen haben 3- bis 10-Stunden-Verträge und verbringen mehr Zeit mit der Anfahrt als im Unterricht. Diese enorme Zahl von 300 verschleiert hier also bewusst, was hinter der Zahl steht.
4. Dass JeKi an 522 Grundschulen stattfindet, liegt nun wirklich nicht an den „guten musikpädagogischen Qualifikationen der Lehrerkollegien“, sondern daran, dass ein enormer politischer Druck die Musikschulen dazu zwingt, immer mehr Grundschulen in das Projekt aufzunehmen, obwohl die personellen Ressourcen längst aufgebraucht sind und der Arbeitsmarkt von qualifizierten Musikpädagogen leergefegt ist. Tatsache ist hingegen, dass die permanente Ausweitung auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen und der Musikschuladministration geschieht und zu heftigen Überlastungen und vermehrten Krankmeldungen führt.
5. Das Projekt wird auch nicht „einhellig“ von den Grundschulen begrüßt, diese These stammt aus dem Land der Märchen und Sagen. Viele Grundschulen sind gar nicht darüber in Kenntnis gesetzt worden, was es heißt, JeKi über vier Jahre anzubieten und welche organisatorischen Probleme damit verbunden sind. Von einer „tief greifenden Zusammenarbeit“ kann also keine Rede sein, diese erlaubt allein die Masse schon gar nicht. Dies kann ich aus meiner zweijährigen Erfahrung in der Musikschulverwaltung und aus zahlreichen Gesprächen mit Grundschulleiterinnen und -leitern bestätigen. Müssen bei JeKi wirklich nur „einige Stellschrauben zur Optimierung des Projekts“ gedreht werden? Nein, hier muss von Grund auf neu nachgedacht werden, was unter Basismusikalisierung zu verstehen ist und wie man gemeinsam mit den allgemein bildenden Schulen diesen Weg wirklich nachhaltig gestaltet und dabei nicht die Belastungsgrenzen der Kinder und die Arbeitssituationen der Kolleginnen und Kollegen völlig ignoriert.
Rainer Buschmann, Bochum
Quantität statt Qualität?
(…) Der Artikel, scheinbar fern von der Praxis, schmückt sich mit schönen Worten wie „Binnendifferenzierung“, „Chancengleichheit“, „Grundmusikalisierung“. Ich habe den Verdacht, dass JeKi andere Ziele verfolgt, als allgemein vorgegeben wird. Geht es hier nicht vielmehr um Zahlen (…), Profilierungsbedürfnisse, Wahlpropaganda, Aufwertung der Kulturhauptstadt, Profit von Instrumentenindustrie und Verlagen, Beschaffung von billigen Lehrkräften, die den Schulunterricht übernehmen et cetera? Die Entwicklung eines JeKi-Konzepts soll „während der Fahrt“ erfolgen. Bringen wir nicht unseren Kindern bei, erst zu denken und dann zu handeln? (…) Wie kommt es, dass Schulen jetzt wieder zu G9 zurückkehren, nachdem sie etliche Kinder als Versuchskaninchen „benutzt“ haben? Ist JeKi nicht auch ein solches Projekt? Wieviele Kinder halten wir denn davon ab, ernsthaft (an der Musikschule) ein Instrument zu lernen, weil es doch in JeKi billiger ist?
Wer JeKi unterrichtet, der weiß, dass man von der sogenannten „Grundmusikalisierung“ weit entfernt ist. Aber das Projekt ist damit nicht gescheitert, denn es zählt wohl alleine die Tatsache, dass 27.700 Kinder teilgenommen haben. Die Quantität ist mal wieder wichtiger als die Qualität, die Form wichtiger als der Inhalt. Jeder ernstzunehmende Musikpädagoge weiß, dass man Geige nicht in einer Großgruppe lernen kann. Es ist doch allgemein bekannt, dass man erst gemeinsam musizieren kann, wenn die Grundlagen des Instrumentalspiels gelegt sind, es sei denn, man missbraucht die Geige im Unterricht als Trommelinstrument. Wird hier nicht das Pferd von hinten aufgezäumt? Offenbar haben wir nichts aus PISA gelernt, sodass wir unser musikalisches Niveau erst drastisch reduzieren müssen, um dann zu merken, dass wir unserer Jugend auch Qualität und Inhalte schuldig sind. Unser Bildungsanspruch bleibt bei JeKi auf der Strecke. Diesen Bildungsanspruch bezeichnet Herr Grunenberg als „starre Zielvorgabe“. (…) Besteht denn Chancengleichheit darin, dass man eine Zwangsmusikalisierung einführt? Auch auf ein Versprechen, dass durch JeKi neue Stellen geschaffen werden, sollten wir nicht reinfallen. An unserer Musikschule gibt es weder mit noch ohne JeKi neue Stellen. Man freut sich eher über jeden, der geht.
Musikschullehrerin, Hessen