Das ist mal ein Product Placement, das sitzt: „Jugend musiziert“ prangt auf einem riesigen Banner an jenem Opernhaus, das die Kulisse für den finalen Showdown des Films „Vier Minuten“ abgibt. Hier hat Jenny ihren letzten großen Auftritt, bevor sie als Mörderin wieder – oder ist sie vielleicht gar keine? – in die Strafanstalt zurückgeholt wird. Ihre 60 Jahre ältere Klavierlehrerin hat sie dort herausgeschmuggelt, um ihr doch noch die Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen. Durch brutalste Gewaltausbrüche im Knast hatte die offenbar am Borderline-Syndrom leidende, genialisch begabte junge Frau diese Möglichkeit verspielt.
Und nun, da alle Augen und Ohren auf sie gerichtet sind, auch die der ausgerückten Polizeitruppe, hebt sie an, das Schumann’sche Klavierkonzert allein vorzutragen (so will es das nicht nur hier ein wenig realitätsfremde Drehbuch). Dass die sich anschließende Spontan-Performance – schnell wird das a-Moll in Richtung Rock und Brachialavantgarde verlassen – doch eine urwüchsige, auch musikalische Kraft ausstrahlt, ist hauptsächlich der Darstellerin Hannah Herzsprung zu verdanken. Zusammen mit Monica Bleibtreu in der Rolle der Klavierlehrerin Traude Krüger bildet sie das Zentrum eines Films, der sich ansonsten in seiner Vielzahl von Handlungssträngen fast verheddert: Rückblenden aus Kriegszeiten, die Traudes Beziehung zu einer als Kommunistin zum Tode verurteilten Kollegin aufrollen; der an der Grenze zum Klischee angesiedelte Haftalltag; Jennys Vergangenheit; der Missbrauch durch ihren Vater; der Wärter, der für eine Quizsendung Zitate aus Opernlibretti memoriert…
Auch wenn der Film immer wieder versucht, das allzu simple Strickmuster von der segensreichen Kraft der Musik aufzubrechen, so ist „Vier Minuten“ leider wieder einer jener Filme, die scheinbar die Musik zum Thema haben und ihr doch nicht wirklich nahe kommen. Es wird dem Publikum offenbar nicht zugetraut, durch das Reden über Musik und ihre Interpretation Einblicke in das Innenleben der beiden Frauen zu bekommen. Stattdessen sehen wir in den Klavierstunden einen Disput darüber, wann mal eine Spielpause einzulegen wäre und erleben den nahe liegenden Abscheu der Lehrerin über die Improvisationen der Schülerin – „Negermusik“.
Insofern wirkt der Konzertwettbewerb „Vier vor VIER MINUTEN“, der im Rahmen einiger Sondervorführungen veranstaltet wurde, ein wenig aufgesetzt. Welche Botschaft sollte von den vierminütigen Mini-Präsentationen von Jugend-musiziert-Preisträgern vor dem eigentlichen Film ausgehen? Mit uns wird es dank der Musik schon nicht so weit kommen? Und wenn doch, bleibt uns wenigstens das Instrument?
Andererseits: Welche Alternativen für einen so werbewirksamen Auftritt im Kielwasser erfolgreicher Kinofilme hätte es in letzter Zeit schon gegeben? Vielleicht „Vitus“, der Film über ein pianistisches Wunderkind, dessen erste Hälfte allerdings so klischeebeladen geriet, dass der authentische Zauber, der von Hauptdarsteller Teo Gheorghiu – im richtigen Leben ein junges Klaviergenie – ausgeht, fast neutralisiert wurde. Auch dieser Film gipfelt in Schumanns a-Moll-Konzert, das hier allerdings, von Gheorghiu live und mit Begleitung gespielt, zum Symbol eines Reifungs- und Befreiungsprozesses wird.
Oder die wunderbare Romanze um einen alternden Schlagersänger, der auf Tanzveranstaltungen welkenden Paaren und einsamen Herzen Trost spendet. Gérard Dépardieu gelingt es als selbst singendem Darsteller, dem Trivialen seine Würde zurückzugeben; die Musik wird zum zentralen Handlungsträger eines im Vordergrund als Liebesgeschichte angelegten Films. Die Kategorie „Französischer Schlager“ steht bei „Jugend musiziert“ freilich noch aus.
Bleibt noch der skurrile, in Technik und Ästhetik der Stummfilmzeit huldigende kanadische Streifen „The Saddest Music in the World“. Der zur Prohibitionszeit in Winnipeg abgehaltene Wettbewerb darüber, welches Land die traurigste Musik zu bieten habe, wird allerdings von einer Bierbrauerei angezettelt. Kein Platz also für weiteres Product Placement.