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Vom Luxus der kulturellen Bildung

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„Angesichts der Arbeitslosenzahlen in Deutschland ist die kulturelle Bildung ein Luxus!“ So oder so ähnlich klingen die Aussagen der Vertreter der Arbeitsgesellschaft, wenn sie sich zu staatlichen Ausgaben im gesellschaftspolitischen Bereich äußern. Es ist wohl wahr: Im Zeitalter der Automatisierung werden Arbeitsplätze ein immer knapperes Gut und damit immer begehrter, wogegen dann ausreichend vorhandene Angebote schnell als überflüssig betrachtet werden. Wieweit die Verknappung der Arbeitsplätze noch gehen wird, weiß zur Zeit keiner genau zu sagen. Nach dem Bestseller des vergangenen Winters „Die Globalisierungsfalle“ der Spiegel-Autoren Harald Schumann und Hans-Peter Martin werden demnächst 20 Prozent der Menschen alle Güter der Welt besitzen, die anderen 80 Prozent werden von Ihnen mit „tittytainment“ unterhalten. Dieses aus titty und entertainment zusammengesetzte Kunst-wort bedeutet nichts anderes, als daß der größte Teil der Menschheit, um ihn friedlich zu halten, ernährt und unterhalten wird, ohne ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Niemand, so stellten die Spiegel-Redakteure fest, habe bisher ein Konzept vorlegen können, um diese Umverteilung aufzuhalten; alle starrten gebannt auf diese Entwicklung wie das Kaninchen auf die Schlange. Im Gegenteil: Durch das aus den USA importierte Konzept des Shareholder value wird die Entwicklung beschleunigt; Arbeitsplatz und Produktion werden vom Kapital abgetrennt, das heißt, es ist gleichgültig geworden, ob das Unternehmen durch höhere Produktivität Gewinne macht oder durch geschicktes Taktieren an den Devisenbörsen. Der Faktor Arbeit verliert für das Unternehmen rapide an Bedeutung. Offenbar geht es darum, auch die letzte Chance zum Geldmachen zu nutzen, das Gewinnstreben als solches ist statt der Produktion zum Unternehmensziel geworden. Das mag in der Logik des kapitalistischen Marktes begründet liegen, das mulmige Gefühl, daß das von Mensch und Produktion losgelöste Gewinnstreben in den Abgrund führt, ist durchaus vorhanden. Die Ratlosigkeit angesichts fehlender wirksamer Gegenkonzepte läßt aber alle mitmachen: Der Endspurt der Lemminge. Bei der öffentlichen Präsentation des Buchs „Die Globalisierungsfalle“ erklärte Bundesbauminister Töpfer, daß er jeden Satz unterschreiben könne; er sähe derzeit aber keine Chance, politische Mehrheiten für diese Sichtweise zu gewinnen. Ganz hoffnungslos scheint die Lage indes nicht zu sein. So meldete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18.09.1997 als Ergebnis der UN-Handelskonferenz: „Globalisierung ist eine Gefahr.“ Schon einmal in diesem Jahrhundert gab es diese weltweite Ratlosigkeit, in der großen Weltwirtschaftskrise um 1930. Damals schrieb der englische Ökonom John Maynard Keynes einen kleinen Aufsatz: „Die wirtschaftlichen Chancen unserer Enkel“. Mathias Greffrath hat am 1. Mai 1997 im Deutschlandfunk in seinem Essay „Arbeit oder Barbarei“ daraus zitiert: „Die Liebe zum Geldbesitz wird erkannt werden als das, was sie ist: eine irgendwie ekelerregnede Krankhaftigkeit, eine dieser halb kriminellen, halb pathologischen Eigenarten, die man mit einem Schauder an den Spezialisten für Geisteskrankheiten weiterreicht. Eine Menschheit, die aus dem Tunnel der Notwendigkeit träte, hatte nur noch ein Problem: die Arbeit zu verteilen. Ein schwieriges Unterfangen, denn zu lange seien wir daran gewöhnt zu ackern und nicht zu genießen. Gerade für die einfachen Arbeiter, ohne Bildung, ohne besondere Begabung, werde es schwer werden, einen Sinn im Leben zu finden, wenn der Arbeitszwang entfalle. Lord Keynes zitiert den Jenseitstraum der Putzfrau, die den Besen weggelegt hat und nur noch den Hallelujah-Chören lauscht; und er widerspricht heftig: „Nur diejenigen, die singen können, werden es aushalten – und wie wenige von uns können das!“ (Ende des Zitats) Hier stellt Keynes die Frage, ob wir nicht deshalb krampfhaft am Wert der Arbeit festhalten, weil sie Sinnersatz geworden ist. Damit hätte sich die Vorstellung des Menschen vom Paradies, wo er genießen kann ohne arbeiten zu müssen, ins Gegenteil verkehrt; paradiesisch scheint es heute zu sein, einen Arbeitsplatz zu haben und arbeiten zu dürfen, ohne über den Sinn des Lebens nachdenken zu müssen. Natürlich wird man vordergründig ins Feld führen können, daß die Arbeit erforderlich ist, um die materielle Existenz zu sichern. Behauptungen liegen allerdings auf dem Tisch, daß bei einer gleichmäßigen Verteilung der vorhandenen Mittel die Menschheit insgesamt durchaus ein würdiges Leben führen könnte. Wenn 20 Prozent der Menschen die übrigen 80 Prozent miternähren können, sollte das auch möglich sein. Daß dies nicht näher untersucht wird, hängt offenbar mit der Angststarre vor der Sinnleere zusammen. Eine Weiterentwicklung setzt deshalb voraus, daß die Menschen außerhalb der Arbeit einen Sinn für ihr Leben finden. Hier erscheint Hoffnung durchaus angebracht, denn seit Lord Keynes gibt es doch erheblich mehr singende Putzfrauen und nicht nur das. Die Nachfrage jedenfalls nach den Angeboten der kulturellen Jugendbildung ist seit zehn bis 15 Jahren in einem Maße steigend, daß es nicht mehr als übertrieben optimistisch erscheint, darin einen vielleicht unbewußten aber doch Versuch der Sinnsuche zu sehen. Nun ersetzt die kulturelle Bildung nicht schon den Sinn, ist aber eine wichtige Voraussetzung dafür, daß junge Menschen sich die Welt aneignen können. Die kulturelle Jugendbildung vermittelt die Schlüsselqualifikationen, die junge Menschen befähigen, die Welt wahrzunehmen, sich sinnvoll in ihr einzurichten, sie zu gestalten. Hier geschieht Sinnstiftung, die Transzendenz möglich macht, nicht in einer Arbeit, die inzwischen weitgehend durch Maschinen besser erledigt werden kann. Erst die Sinnfindung wird uns in die Lage versetzen, das Koordinationssystem der Arbeitsgesellschaft zu verlassen und zum eigentlichen Menschheitstraum vom Paradies zurückzukehren. Um dahin gelangen zu können, werden wir uns zu der Erkenntnis durchringen müssen, daß menschliche Arbeit mehr und mehr zum Luxus (weil überflüssig) wird, während mit jedem Arbeitslosen die Notwendigkeit der kulturellen Bildung steigt. Helmut Brinkmann

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