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Von grauen Geschäftsführern und trendigen Intendanten

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Betr.: „Thank You America“-Tournee des Bundesjugendorchesters Eigentlich wollte ich in diesem nmz-Theaterstück „Thank You America“ gar nicht mitspielen. Aber nun bitte ich doch um einen bescheidenen Auftritt in einer kleinen Nebenrolle. Die Bühne müßte allerdings ziemlich abgedunkelt werden, und es müßte irgendwie zumindest symbolisch so etwas wie ein Kreuz sichtbar werden, damit ich mich dorthin, wie auch immer, bewegen kann. Was habe ich den Mitgliedern des Bundesjugendorchesters damals im Frühjahr 1994 mit den Konzerten in den popeligen Colleges im mittleren Wilden (?) Westen zugemutet, und wie konnte ich sie Dirigenten dritter und vierter Kategorie (schönen Gruß an Ihr Präsidiumsmitglied Hans W. Sikorski) bloß anvertrauen. Ich tue – voll im amerikanischen Trend liegend – Buße! Aber da regt sich bei mir Sünder doch noch ein letzter Rest Selbstvertrauen. Spielte das BJO in den letzten Jahren nicht auch im Concertgebouw, im Wiener Konzerthaus, im Smetana-Saal in Prag, im Gewandhaus, in der Semper-oper, im Kopenhagener Tivoli oder in der Alten Oper zu Frankfurt am Main? Aber wo waren die beiden Philharmonien in Berlin und München, werden Sie einwerfen. Und schon haben Sie mich wieder voll erwischt. Ich bekenne, ich habe es nicht hingekriegt. Ich habe die Hamburger Konzerthalle noch vergessen, möchte ich Ihnen zurufen, aber es wird nichts mehr nützen, muß ich befürchten. Und dann die Dirigenten, den einen, wie heißt er noch, Holling oder so, auf jeden Fall Heinz mit Vornamen. Von den anderen fallen mir in dieser Streßsituation eh nur noch die Vornamen ein: Bernhard, Heinrich, ja sogar ein Hans war darunter, und der Mario, aber ich verstumme, meine Stimme versagt. Aber ich spiele Theater! Ich fühle mich eigentlich ganz in Ordnung und hätte wohl ganz schön Lust, meinen Job vorerst weiterzumachen. Auch schon, weil das 30jährige BJO-Jubiläum vor der Tür steht und mich dazu verleiten könnte, über Inhalte nachzudenken. Vielleicht fällt mir was ein, mal sehen. Nun gut, müssen muß ich nur noch so gut zwei Jahre. Dann wäre spätestens der Weg frei, einen kleinen, grauen Geschäftsführer von einem jungen, cleveren Geschäftsführer – pardon, Intendanten – mit innovativen Ideen und technisch voll auf der Höhe, versteht sich, abzulösen. Vielleicht mit einem angemessenen Dienstwagen, aber sicher nicht nach BAT angestellt. Von dem Gehalt kann doch kein (bedeutender) Mensch leben. Und dann nur eine Mitarbeiterin, und die noch nicht einmal voll. Nein, nein, wer soll denn die vielen neuen Ideen umsetzen? Hört sich verlockend an. Das BJO erscheint im neuen Glanze. Läßt sämtliche Konkurrenz hinter sich, überholt womöglich sogar noch die Philharmonie der, der..., meine Güte, wie heißt die doch noch schnell wieder? Übrigens vielleicht ein guter dramaturgischer Schluß des Theaterstückes: Ein hoffnungsvoller Leuchtstreifen am Firmament, die Wende! Kann aber auch schiefgehen und das Ende des BJO bedeuten, denn keiner hat mehr Bock, in dem Laden mitzuspielen – dann aber müßte die Bühne wohl vollends abgedunkelt werden, wäre aber doch nicht so gut, so negativ. Wissen Sie, was mit zu meinen schönsten Erlebnissen im BJO gehört? Ich sage es Ihnen: Ein Besuch mit acht BJOlern am Vormittag eines Konzerttages in einer Erlanger Grundschule. Da saßen im Schneidersitz auf dem Boden einer Turnhalle an die achtzig Kinder und hörten atemlos der Musik zu. Da hätte sogar Herr Masur reinkommen können, und die Schüler hätten es nicht bemerkt und übrigens auch gar nicht gewußt, wer das ist. Es ging nämlich um das Wesentliche: Musik und Jugend. Da spielt es keine Rolle, wissen Sie, in welcher Stadt, in welchem Saal die Musik zum Klingen gebracht wird und in welcher Präsentationsform. Ich bin sicher, Herr Masur wäre genauso- glücklich gewesen wie ich. Warum gibt es Erlangen nicht überall? Wie Sie sich inzwischen denken können: Ich hasse Peanuts. Vorhang runter! Wenden wir uns den wesentlichen Dingen des Lebens zu. Dazu gehörte selbstverständlich auch die Arbeit mit Kurt Masur. Die war einfach klasse! Dafür danke ich der Deutschen Stiftung Musikleben ausdrücklich. Mehr Masur bitte!

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