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Vox populi

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Die Bayerische Staatsoper probt den Imagewechsel. Seit dem Herbst 2011 gibt sie ein neues, lifestyliges Opernmagazin mit Namen „Max Joseph“ heraus, das offenkundig die Möglichkeit sondiert, neue Publikumsschichten ins Theater zu holen, und dabei keinen Photoshop-Aufwand scheut. Der erste Artikel im ersten Heft zur Saison 2012/13 stammt vom Urgestein der Rockkritik, Greil Marcus. Er handelt von Smokey Robinson, Doo-Wop-Balladen, Fiery Furnaces, The Fates und dem Pop-Trickkünstler Jonathan King. Der Aha-Effekt ist unübersehbar: Leute, jetzt geht’s nicht mehr in erster Linie um „Empio, dirò, tu sei“ und das hohe C, sondern um die knallharte Gegenwart! Im Fokus ist die musikalische Alltagssprache, oder, wie das durch das ganze Heft gestreute Stichwort lautet, die vox populi.

Eine Kulturrevolution kann man das nun nicht gerade nennen, denn Unterhaltung, auf neudeutsch Entertainment genannt, gehört seit je zur Oper. Händel, einer der ganz Großen, war bekanntlich ein begnadeter Entertainer. Als Opernunternehmer in London navigierte er, wie es sich fürs Unterhaltungsgeschäft gehört, zwischen Sensationserfolg und Bankrott, mit seinen Freilichtmusiken beschallte er die halbe Stadt. Insofern ist Pop keine spezifische Erscheinung des 20. Jahrhunderts und keineswegs die ultimative Antwort von unten auf eine kraftlos gewordene Hochkultur, wie es im ansonsten kenntnisreichen Essay von Bernd Graff im selben Heft heißt. Vielmehr liefen beide Kulturen immer nebeneinander her, wenn auch die populäre stets nur dann zur Kenntnis genommen wurde, wenn sie sublimiert in die gelehrte einging.

Doch was unsere Zeit tatsächlich von früheren Jahrhunderten unterscheidet, ist der Einfluss der Massenmedien auf die Kultur. Massenmedien sind eine teure Errungenschaft und müssen dementsprechend Umsatz machen. Die Rechnung ist einfach: Er lässt sich nicht mit Sinfonien und Liederzyklen, wohl aber mit populärer Massenware machen. Dass es sich dabei nicht nur um gesichtslose Industrieprodukte handelt, sondern dass die zuvor anonymen Massen darin auch eigene Ausdrucksmöglichkeiten entwickeln konnten, bleibt unbestritten. Doch damit hat sich auch die Deutungsmacht über die Kultur verlagert. Heute entscheiden nicht mehr in erster Linie Theoretiker, klassisch ausgebildete Musiker oder gebildete Laien darüber, welche Musik gespielt werden soll, sondern die Manager der Medienkonzerne, auch der öffentlich-rechtlichen. Sie sorgen sich um das Wohlergehen ihrer Distributionskanäle und behaupten, dass im Namen und im Interesse des Volkes – populus – zu tun. Pop als massenmedial erzeugte Mehrheitsästhetik.

Die Wiener Aristokraten, die bei Haydn und Beethoven Stücke bestellten, hatten noch den Ehrgeiz, bei der Aufführung selbst mitzuspielen, und diejenigen in London, die von Händel unterhalten werden wollten, bezahlten den ganzen Spaß wenigstens noch selbst. Die Komponisten lernten von der populären Musik, und im Gegenzug bemühte sich das Publikum, die Sonaten und Sinfonien dieser schrägen Vögel zu verstehen. Doch wie sieht dieses Verhältnis heute aus? Die Komponisten, die sich viel zu lang als autonome Geistesgrößen verstanden, die niemandem Rechenschaft schuldig sind, erwachen aus ihren Träumen und stellen mit Schrecken fest, dass der Takt heute von denen vorgegeben wird, die von Hochkultur nichts mehr wissen wollen. Früher hatten die öffentlich finanzierten Medien noch dagegen gehalten. Doch heute lassen sie die ästhetischen Machtergreifung bei sich stillschweigend zu oder fördern sie sogar, sei es mit Programmreformen, um anspruchsvolle Sendungen abzuschaffen, mit Häppchen-Klassik nach außen und „Mitarbeiterführung“ im Inneren, um die Widerborstigen gefügig zu machen.

Wenn die Bayerische Staatsoper nun augenzwinkernd der vox populi das Wort redet, so ist das wohl nicht so ernst zu nehmen. Denn erstens rennt sie operngeschichtlich offene Türen ein, und zweitens wird sich wohl nach einiger Zeit zeigen, dass die etwas weniger anspruchsvolle Münchner Schickeria, die man nun mit großem Pop-Getue ins Theater locken möchte, sich an langen Wagner- und Sloterdijk-Opern nur begrenzt delektieren kann. Das ist dem Wind des Zeitgeistes geschuldet, der in München bekanntlich besonders stark weht, sich aber auch wieder drehen wird.

In den Massenmedien hat das Nachäffen der Vox populi jedoch schon längst zu einem Niedergang auf breiter Linie geführt. Der Kulturbegriff wird nach Maßgabe der institutionellen Notwendigkeiten umdefiniert. Pop ist, was Quoten, Klicks und Werbeschaltungen bringt: Sport-Endlosschlaufen, flache Shows und als Zugabe Politiker-Selbstdarstellungen bei Talkdamen und das Wiener Neujahrskonzert. Bei den Privaten ist das lebensnotwendig, bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht. Dass das Zwangsentgelt, mit dem das Ganze nun finanziert wird, „Demokratieabgabe“ genannt wird, verrät etwas über deren kreativen Umgang mit tradierten Begriffen und Werten. Die „Max Joseph“-Macher mit ihrem verständlichen Versuch, etwas vom schillernden Glanz der digitalen Ära auch auf den alten analogen Operntempel fallen zu lassen, sind dagegen Waisenkinder.

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