Gerne wird zurzeit über das angeblich neue Verhältnis von Mensch und Arbeit diskutiert. Von Wirtschaftsseite wird dabei die Position vertreten, dass der mitteleuropäische Mensch zu wenig Anpassungsfähigkeiten an die neuen Bedingungen vorweise. Sprich: Er ist nicht gehaltsflexibel nach unten, verweigere also den Niedriglohnsektor, er ist nicht mobil genug, das heißt er wandert nicht gern zu den Stellen, wo es (noch) Arbeit gibt, sondern verweilt lieber sentimental am eigenen Ort, er denkt nicht gerne um, sondern betrachtet seinen Arbeitsplatz als Versorgungsanstalt gleichsam von der Wiege bis zum Grabe.
Das Resultat lautet: Der mitteleuropäische Mensch muss sich den neuen, global diktierten Arbeitsbedingungen anpassen (er muss also mitmachen), oder er wird, überschwemmt von Milliarden Handys aus China und Abermillionen Playstations aus Japan, untergehen. Den Untergang im Angesicht ergeht er sich weiterhin in Nebensächlichkeiten, hört und liebt Musik und andere Künste, geht gerne gut essen, denkt über Sinn oder gar Moral nach. All dies sind in den Augen unserer Macher beziehungsweise Wegmacher Verfallssymptome, Indizien für Daseinsstrukturen, die den Gleichschritt mit der Zeit nicht mehr schaffen und folglich nach Darwin’schem Gesetz aussterben.
In diesem Zusammenhang ist es nur folgerichtig, sich die Frage zu stellen, ob es diese antiquierten Dinge überhaupt noch braucht. Wozu braucht ein Fluss Fische, wozu ein Wald Bäume? („Wer sagt denn, dass im Rhein Fische schwimmen müssen”, wurde im deutschen Parlament vor einigen Jahrzehnten in der Tat schon einmal gefragt; und die 68er diskutierten parallel allen Ernstes, ob eine Zeit des revolutionären Aufbegehrens der Kunst bedürfe!) Wozu braucht es Bücher, wozu Musik? Es genügen doch bei eventuellem Restbedarf virtuelle Wälder und zur Beruhigung der Gehirnströme ein computergenerierter Sound.
Diese Fragen werden vielleicht nicht immer ausgesprochen, in den Hirnen der Rentabilitätsoptimierer, die der Gegenwart den Takt vorgeben, sind sie längst feste Größen. Thoreau hat einmal darüber nachgedacht, auf wie viel der Mensch verzichten kann, ohne die Würde seines Daseins einzubüßen. Heute wird überlegt, wie viel an solcher Würde genommen werden kann, ohne die Kosten-Nutzen-Rechnung in Schieflage zu bringen.
Ärgerlich für die Vertreter solcher Denkmuster ist es, dass der von ihnen so gut gebündelte Sack der Menschheit, dieses kurz geschlossene Produktions- und Konsumptionssystem, immer wieder Risse kriegt, aus dem ein singender Mund, ein überlegender Kopf, eine zeichnende oder schreibende Hand, ein lesendes Auge herausgucken. Und je fester die Verschnürung ist, je stabiler der Sack, desto kreativer werden einige der Eingeschlossenen im Erfinden neuer Durchbrüche. Es scheint einer der großen Konstruktionsfehler des Menschen, dass er immer wieder zum kreatürlichen Tun drängt, dass die Lust daran nicht zu knebeln ist. Doch die Bemühungen zur Fehlerbehebung laufen auf vollen Touren. Man befindet sich schließlich am längeren, nämlich am ökonomischen Hebel. Und fortgesetzter Entzug hebt ja die Entzugserscheinung letztlich auf. Man fragt sich, wie lange es dauert, bis der Mensch den Verlust von Wald oder Musik nicht mehr spürt. Wie lange es also dauert, bis der Sack endgültig zu bleibt.
Auf die Idee, die Denkrichtung zu ändern, kommt man natürlich nicht: Also vom System, dem der Mensch zu genügen hat, umzudenken auf den Menschen, dem das System dient. Denn das hieße ja, das Gesetz der Wertemaximierung mit falschen Prioritäten zu gefährden.