Juli und August sind die Monate der musikalischen Haupt- und Staatsaktionen. Die Spielzeiten der Theater und Orchester sind zu Ende, und nun konzentriert sich alles auf einige wenige Großveranstaltungen, die aus nicht immer leicht nachvollziehbaren Gründen als Parnass der E-Musik gelten. Diese Festivals sind die kulturellen Leitbörsen, wo die Protagonisten des Musikbetriebs auf ihren aktuellen Wert taxiert, das Repertoire auf seine Marktgängigkeit getestet, die Veranstalterqualitäten auf den Prüfstand gestellt und die Zweitverwertungsrechte verhandelt werden.
Für eine ihrer Bedeutung angemessene Resonanz sorgen die Medien. Die aus nah und fern angereisten Journalistinnen und Journalisten, froh, dem grauen Redaktionsalltag für einige Zeit entronnen zu sein, halten ihr Publikum zeitnah und mit viel Schreiblust auf dem Laufenden. Da kommen dann die großen Fragen des Musiklebens zur Sprache: dass der Held des wieder aufgenommenen „Ring“ Petrenko und Castorff der Lümmel vom Dienst ist, dass die Netrebko den Troubadour gerettet hat, Pereira ausgebuht wurde und dass der Dirigent X das neueste Stück der Komponistin Y als fast unspielbar bezeichnet hat. Ein bunter Chor von unterschiedlichen Meinungen, die in ihrer Gesamtheit einen vielstimmigen harmonischen Satz ergeben. Virale Werbung in ganz großem Stil für die Veranstalter, die sich noch mit jedem zweispaltigen Verriss Anzeigenkosten im fünfstelligen Bereich sparen können.
Seltsam nur, dass bei dieser hochsommerlichen Aufwallung des kulturellen Bewusstseins vieles übersehen wird, was nicht in einer der führenden Destinationen geschieht. Kleinere Ereignisse, obwohl ebenso interessant, werden medial von den Großen schlicht erdrückt. Zum Beispiel das Kammermusikfestival „Musica Insieme“ im umbrischen Städtchen Panicale, das Ende August zum siebzehnten Mal stattfand und diesmal dem Ehrenbürger Klaus Huber zum bevorstehenden neunzigsten Geburtstag gewidmet war. Hier trat zwar keine Netrebko auf. Aber mit seinen thematisch ausgerichteten Programmen befand sich das Festival auf der Höhe der Zeit. Mit Werken von William Byrd bis Sciarrino, von Purcell bis Cage, Pagh-Paan und Huber wurden epochenübergreifende Zusammenhänge dargestellt. Eine generationenübergreifende Premiere gab es mit dem erstmaligen Auftritt des vom Cellisten Walter Grimmer gegründeten „Q3G“, des Quartetts, dessen Mitglieder drei Generationen angehören. Spielend soll das Wissen der Älteren an die Jüngeren weitergegeben werden. Das geschieht erst einmal mit den beiden Streichquartetten von Klaus Huber, Marksteinen der neueren Quartettliteratur. Und wer die Premiere beim kleinen aber feinen Festival in Panicale verpasst hat, braucht nicht auf den Sommer 2015 zu warten. Er kann das Q3G mit den beiden Werken auch im November auf seiner Tournee hören. Hier die Termine: 9.11. Bremen, 11.11. Berlin, 24.11. Lausanne, 25.11. Winterthur, 28.11. Boswil, 30.11. Basel. Übrigens: Der 30.11. ist Klaus Hubers Geburtstag. Bitte schon einmal vormerken.