Es ist paradox: Das Land, in dem die Oper erfunden wurde, scheint sie auch wieder abschaffen zu wollen. Mittels eines Gesetzes setzt Italiens Kulturminister Sandro Bondi ein Sparprogramm durch, das die Opernhäuser Italiens unter eine Art Zwangsverwaltung mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung setzt.
Der kulturelle Armutsbericht aus Italien zeigt (Seite 13), dass dort die Schere zwischen elitärer Hochkultur und medialer Massenkultur schon sehr weit auseinanderklafft. Für die Vereinigten Staaten diagnostiziert Wynton Marsalis diese Gefahr der kulturellen Verarmung am Beispiel der ureigensten kulturellen Errungenschaft des Landes, dem Jazz: „Heutzutage hat der durchschnittliche schwarze Amerikaner weder Ahnung noch Verständnis für das vielfältige Erbe der afroamerikanischen Kultur. Er weiß nicht einmal, dass es etwas zu wissen gäbe. Bekanntlich sind wir über den Rap und verfälschte Kirchenmusik wieder bei den Minstrelshows angelangt. Jetzt singen die Leute über Jesus und reiben dabei die Hüften aneinander. Traurig für Schwarze und noch trauriger für unser Land, denn schwarze Amerikaner nehmen in unserer nationalen Identität eine zentrale Position ein.“
Auch im Einwanderungsland Deutschland wird die Debatte darüber, welche Rolle die so genannte Hochkultur in Zukunft zu spielen vermag, weitergehen müssen. Wird sie wieder so elitär, wie sie zur Zeit ihrer Entstehung innerhalb feudaler oder großbürgerlicher Strukturen war? Bleibt sie der Code der Eliten? Es gibt unzählige Bemühungen, die Klassik und die zeitgenössische Musik als demokratische und schichtendurchlässige Kultur zu propagieren. Ausgabe für Ausgabe dokumentiert die neue musikzeitung dieses Anliegen: etwa mit Berichten über das große Vermittlungsprojekt Netzwerk Neue Musik (siehe die Beilage Sounding D), über die Arbeit offener Konzerthäuser wie Elbphilharmonie, Konzerthaus Berlin oder Philharmonie Essen oder über das neue Jugendfestival mu:v der Jeunesses Musicales Deutschland (siehe Seite 31).
Massenveranstaltungen wie der Tag der Musik (Seite 10) oder das Event „Sing – Day of Song“ der Kulturhauptstadt Essen ziehen Tausende in ihren Bann (Seite 1), und man kann die genannten Aktivitäten exemplarisch als ein Zeichen dafür nehmen, dass aktives Musizieren und Hören eine Übereinkunft in unserer Gesellschaft bleibt. Dem Freizeitpark der Kulturindustrie scheinen wir subversiv und voller Lust am aktiven Tun immer wieder neu zu widerstehen. Doch was ist mit den Mechanismen der Schuldenbremse, die langsam aber sicher greifen? Dass die italienischen Verhältnisse näher sind, als wir glauben, zeigt ein Blick ins am weitesten von Italien entfernte Bundesland, nach Schleswig-Holstein. Dort kann man derzeit erleben, was passiert, wenn man Haushalte konsolidiert. Festivals wie Jazz Baltica verschwinden von der Landkarte, das Landeskulturzentrum Salzau ist von der Schließung bedroht, die Zukunft des Schleswig- Holstein-Musikfestivals ist ungewiss, der Bestand der öffentlichen Theater ist gefährdet, die öffentlichen Büchereien schränken ihre Leistungen ein.
Im Juni 2009 haben Bundesrat und Bundestag die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Der Bund darf ab dem Jahr 2016 nur noch Kredite bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen, die Länder dürfen ab dem Jahr 2020 keine Schulden mehr machen.
Die Schuldenbremse kriegen wir so schnell nicht los. Mit Kürzungen der Kulturhaushalte kann man Landeshaushalte jedoch nicht retten, machen sie doch meist nicht mehr als einen Prozentpunkt des gesamten Haushaltes aus. Deshalb ist intelligentes Sparen gefragt und nicht ein Kahlschlag à la Antikulturminister Bondi. Strukturen der Kultur dürfen der Schuldenbremse nicht zum Opfer fallen. Denn: Was weg ist, ist weg – das gilt für die Arbeitsplätze der Künstler ebenso, wie für die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft.