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Wasser rein! – Von JeKi zu JeKits

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Nachschlag 2015/03
Publikationsdatum
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Weite Kreise der Fachwelt und der Politik reagierten hochinteressiert als 2003 in Bochum das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“, kurz JeKi genannt, erfunden wurde. Instrumentalunterricht im Kernbereich der allgemeinbildenden Schule? Weil wir in den Schulen alle Kinder erreichen, nicht nur die, die von ihren Eltern zur Musikschule gebracht werden? Als Gruppenunterricht, damit mehr Kinder diesen Bildungsimpuls bekommen? Entsteht mit diesem neuen „Schulischen Instrumentalunterricht“ eine ganz neue Musik- und Instrumentalpädagogik? Soll tatsächlich jedes (!) Kind ein Instrument in die Hand bekommen, nicht nur die üblichen 7–8 Prozent eines Jahrgangs? Und Kinder von Hartz-IV-Beziehern, die meist nicht in den Musikschulen gesehen werden, bekommen den Unterricht kostenlos? Das könnte ein starker Impuls für die Kinder, für unsere Orchesterlandschaft, für das Musikland Deutschland werden!

In den Musikschulen, die den Unterricht meist übernahmen, kam es zu einer höchst faszinierenden Entwicklung. Lernten bisher höchstens 5 Prozent „Hartz-IV-Kinder“ in den Musikschulen, waren es durch JeKi schnell fast 25 Prozent. Welch Schritt nach vorn, welch sozialverpflichteter Instrumentalunterricht!
Ein Stein kam ins Rollen. Auch andere Bundesländer ließen sich begeistern.

Und nun legt die Regierung von NRW, dem Mutterland der Idee, den Rückwärtsgang ein.

Bisher gab es JeKi in NRW meist nur im Ruhrgebiet. Die frühere CDU-Regierung hatte vor, es auf ganz NRW auszuweiten. Die aktuelle SPD-Grüne-Regierung will das nicht bezahlen. Die anderen Regionen NRWs waren natürlich längst aktiv, wollten die gute Sache auch haben. Ausweitung ja, sagte die Landesregierung, aber zusätzliches Geld sei nicht vorhanden. Wir kennen das. Hinter diesen Aussagen steht immer eine inhaltliche Entscheidung:  Geld geben wir aus, aber anderes ist uns wichtiger.
Was macht die Hausfrau im schlechten Fall, wenn die Suppe nicht reicht? Wasser rein. Ausweitung ohne zusätzliches Geld? Billigeres dazu. Aus JeKi wird JeKits. „t“ steht für Tanzen, „s“ für Singen. Stimme und Tanzbein haben die Kinder schließlich kostenneutral dabei. Singen und Tanzen sind großartig, aber die Diskussion in NRW zum neuen JeKits zeigt es bereits: Die Eltern wollen für ihr Kind das Instrumentalspiel. Denn das war bisher für 90 Prozent aller Kinder unerreichbar. Singen und Tanzen sind eher zu haben.

Verdünnte Suppe. JeKi wird teurer, die Teilnehmerzahl der Gruppen wird erhöht – mehr Teilnehmer verlangsamen in aller Regel den Lernfortschritt – auch sollen sich die Kommunen stärker als bisher an den Kosten beteiligen. Wer an die Haushaltssituation der nordrhein-westfälischen Kommunen denkt, reagiert skeptisch.

Aber auch damit reicht die Suppe noch nicht. Also werden Hungrige ausgeschlossen. Nicht mehr „jedes“ Kind soll in NRW ein Instrument erlernen, sondern nur noch einige Kinder. Konnte im Ruhrgebiet bereits fast jedes Kind einen Instrumentalunterricht beginnen, sollen dort nun circa 20 Prozent der Unterrichtsstandorte abgebaut werden, damit diese Mittel auf andere NRW-Regionen verteilt werden können. JeKi wird praktisch eingefroren. Schade für die Ruhrgebietskinder. Schade für die meisten NRW-Kinder. Schade für die Musik.

Vor allem aber wird das Projekt halbiert, kostenreduzierend. Statt der bisher vier JeKi-Jahre soll das neue JeKits nur noch zwei Jahre dauern. Und das trifft voll ins soziale Herz des Projekts! Warum? Im ersten JeKi-Jahr wurden bisher Instrumente vorgestellt, im zweiten, dritten und vierten Grundschuljahr gab es Instrumentalunterricht. Ein sinnvoller, nachhaltiger Förderzeitraum. Besonders für Kinder aus kulturfernen Familien gut. Beim Erlernen eines Instruments braucht fast jedes Kind einen förderlichen Hintergrund. Das ist traditionell die Familie, die das Kind dabei unterstützt und über die dazugehörigen Motivationskrisen hinweghilft. Und die die Unterrichtsgebühren bezahlt. Im 3. und 4. Jahr waren es bei den JeKi-Kindern aus bildungsfernen Familien meist die Lehrerinnen und Lehrer der Musikschulen, die die Kinder an die Hand nahmen und damit den Fortgang sicherstellten. Je erfolgreicher die Lehrkräfte diesen nicht immer leichten Unterricht beherrschten, desto mehr Kinder blieben dabei. Immerhin bereits 25 Prozent der Kinder im 3. und 4. Jahr waren aus wirtschaftlich-sozialen Gründen von den Entgelten befreit. Die Mittel dafür wurden vom Land zur Verfügung gestellt. Das endet jetzt. Die Zahl der Kinder, die nach den zwei JeKits-Jahren weiter zum Instrumentalunterricht gehen werden, wird sich drastisch verringern! Werden wir bald wieder bei den 7–8 Prozent sein? Nach Meinung der Landesregierung könnten ja die Kommunen diesen Unterricht im 3. und 4. Jahr übernehmen, auch die Sozialbefreiungen. Es hebe die Hand, wer da viel erwartet.

Ein sogenanntes „Gemeinsames Musizieren“ schon im ersten Jahr des Ins-trumentalunterrichts soll uns jetzt alle trösten (Nach welchem Konzept?). Dafür landet das „Ensemble Kunterbunt“, dieser Motivationsschub im 3. und 4. Jahr, für das die Lehrkräfte mehrere Jahre lang Konzepte erarbeitet haben, im Papierkorb. „Gemeinsames Musizieren“, „ästhetisches Handeln“ mit 2 bis 3 Tönen? Man beruft sich auf die Elementare Musikpädagogik. Tatsächlich, hier kann es voraussetzungslos und mit einfachen Mitteln zu grundlegenden musikalischen Erfahrungen kommen. Aber ein Ton auf dem Xylophon ist auch einfacher zu spielen als einer der ersten Töne auf der Klarinette oder der Trompete.

Wenn es so überwiegend um diese grundlegenden musikalischen Erfahrungen geht, muss man dafür überhaupt so viel Geld für die teuren Orchesterinstrumente und für die vielen zusätzlichen Instrumentalpädagogen in die Hand nehmen?! Soll es bei JeKits überhaupt noch um einen ersten, richtigen Instrumentalunterricht gehen? Oder werden die neuen „JeKi-Schwerpunkte“ in die Banalisierung abdriften müssen? „Es ist doch großartig, wenn ein Kind einmal in seinem Leben einen Kontrabass anfassen darf!“ (Ministeriumsvertreter). Wenn man den Kindern richtige Instrumente gibt, dann doch wohl damit sie die richtig spielen lernen! Das „Gemeinsame Musizieren“ findet im modernen Gruppenunterricht von Anfang an statt. Das ist ja einer seiner Vorteile. Einen Gegensatz zu konstruieren zwischen dem Erlernen von Instrumenten und Musizieren, ist unnötig.

Fazit: Singen und Tanzen sind sehr gut. Noch fehlen allerdings vor allem die Singfachkräfte. Laienchorsängerinnen vor die Schulklassen? Und dafür sollen Eltern 12 Euro monatlich zahlen? Wer denkt sich sowas aus. Jede Kirche lässt die Kinder kostenlos im Kinderchor mitsingen. Und das innovative, hoffnungsträchtige, sozialverpflichtete JeKi-Projekt wird halbiert, eingefroren, de facto beschädigt. Kultur- und Bildungspolitik im Rückwärtsgang. Wann wird das Projekt ganz eingestellt? Und wie werden die anderen „JeKi-Länder“ reagieren?

Die Instrumentalpädagogen, die JeKi seit Jahren unterrichteten, wurden bei der Ausarbeitung des neuen JeKits gar nicht erst gefragt. Sie hätten nur abgeraten. Auch der kompetente „JeKi-Beirat“, eine Versammlung aller in NRW für die Musik Verantwortlichen, wurde erst angesprochen, als alles entschieden war. Die JeKi-Stiftung, Minis-teriumsmitarbeiter, Funktionäre und Theoretiker haben JeKits entwickelt.  Die Unruhe ist gesichert.

So geht es, wenn politisch Verantwortliche nicht sehen wollen, welche Taube sie da in der Hand halten. Man lässt die Taube fliegen und greift zum Spatz.

Instrumentalspiel muss doch nicht jeder erlernen. Oder ist das vielleicht sogar spießig, bürgerlich? Muss musikalische Bildung langfristig und nachhaltig angeboten werden?

Kurzdauernde Projekte aus dem „Kulturrucksack“ mit 4,40 Euro pro Kind und Jahr reichen doch.  
Und mit am Schlimmsten: Mit großer Hoffnung auf das Projekt und im Glauben, das Land betrachte es als langfristig, haben sich Grundschulen, Musikschulen und viele private Musiklehrkräfte im Ruhrgebiet für JeKi engagiert. Viele neue Lehrkräfte wurden eingestellt, Musikschulen verdoppelten ihre Schülerzahl, mit Feuereifer wurden passende Unterrichtsmaterialien erarbeitet. Jetzt wird rückgebaut. Die politisch Verantwortlichen wünschen im Ruhrgebiet eine Kürzung um rund 100 Stellen. Das wird vor allem die neuen, jungen Lehrkräfte treffen, die sich engagiert in JeKi eingearbeitet haben. „Die können ja dahin gehen, wo es die neuen JeKits-Projekte gibt!“ Personalpolitik mit der Brechstange.

So kam es denn nach der letzten Landtagswahl  in NRW zum großen Entsetzen. Eigentlich wusste man es längst:  Politik ist sprunghaft und denkt kurzfristig. Und was eine CDU-Regierung eingeführt hat, mag eine SPD-Grüne-Regierung nicht lieben. Selbst wenn es Gold für die Kinder ist. Fazit: Die Musikschulen haben bei JeKi allzu vertrauensvoll und allzu kooperativ auf den Wunsch der Politik reagiert. In Zukunft sollte man zurückhaltender sein, wenn die Politik wieder eine neue Idee hat. 

 

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