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Wegschauen, zuschlagen

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Die Wogen gingen hoch zwischen Stockholm und Tel Aviv. Anlass war ein Exponat im Historischen Museum zu Stockholm. Die Ausstellung „Making Differences” war in Bezug auf eine internationale Konferenz zum Thema „Völkermord” konzipiert. Dort also fand sich die Installation „Schneewittchen und der Wahnsinn der Wahrheit” von Dror Feiler und seiner Frau Gunilla Sköld Feiler: Auf dem blutrot gefärbten Wasser eines Bassins schwamm ein kleines weißes Schiff mit der Aufschrift „Snövit”, das als Segel das Bild der palästinensischen Selbstmordattentäterin Hanadi Jaradat zeigte, die im Oktober 2003 in einem Restaurant in Haifa 21 Menschen mit sich in die Luft gesprengt hatte. Zu hören waren dazu eine elektronisch veränderte Version von Bachs Kantate „Mein Herz schwimmt in Blut” und Ausschnitte aus dem Märchen und von Jaradats Lebensgeschichte. In der „Süddeutschen” war in einem Kommentar zu lesen, dass die Welt zum ersten Mal von einem Künstler namens Dror Feiler (einem in Schweden lebenden Israeli) gehört habe. Vermutlich war da das Suchobjektiv falsch eingestellt. Feiler ist unter Avantgarde-Musikern ein durchaus vertrauter Name, er war als Komponist oder radikaler Saxophonist in Donaueschingen und bei vielen anderen Festivals der zeitgenössischen Musik immer wieder vertreten. Aus seiner politischen Ausrichtung seiner Musik machte er nie einen Hehl. Fast immer bewegt sie sich an der oberen Lautstärkegrenze, in Bereichen, wo es weh tut.

„Der Hörer soll”, so äußerte er einmal, „keine Gelegenheit bekommen, Winkelzüge des formalistisch intellektuellen Hörens dazwischen zu schalten.“ Und im Dröhnen des massiven Schalldrucks zeigt sich eine intensive musikalische Sensibilität, eine innige Hinwendung zum Menschen und seinen Nöten in den gegenwärtigen Gesellschaftssystemen. Ausdruck finden sie im Schrei, in aggressiver Auflehnung. Feiler ist nicht auf Effekte aus, der Zustand der Welt aber gibt seinem musikalischen Fühlen nicht den Raum der Mitte, die Region des vorgeblich Angenehmen. Feilers Musik ist keine zum Weghören und vielleicht ist das auch einer ihrer inneren Impulse in einer Welt, die das Wegschauen und Weghören zum Überlebensprinzip der Saturierten macht. Und das sogar manchmal in dialektischer Verdrehung: Die eingebundenen Journalisten beim letzten Irak-Krieg berichteten vor Ort und leisteten gerade durch diese Direktheit die erwünschten Dienste im Verbiegen der Wirklichkeit.

Vielleicht war dies – dieses einfache aber unausweichliche Hinschauen – der Grund, warum der israelitische Botschafter Zvi Mazel so heftig vagabundierend reagierte und die Installation zerstörte. Das Ehepaar Feiler legte es, trotz der extremen und provokanten Sichtweise, die bewusst Grenzgebiete (auch des Geschmacks) betritt, gewiss nicht darauf an, das Selbstmordattentat zu verherrlichen oder gar die Opfer zu verhöhnen (so Mazel). Das klingt eher wie ein Vorwurf, der eigenes schlechtes Gewissen kaschiert! Man soll, so wäre die Installation zu deuten, hinschauen auf die Verzweiflung auf beiden Seiten, man soll nachdenken über die fatalen Wirkungsmechanismen von Gewalt und Rache. Die Fähigkeit zu trauern, die immer mehr verödet, gilt es zu retten (es war schon immer zentrales Anliegen der Kunst, sei es auf musikalischem Gebiet Schütz, Bach, Schubert oder Mahler). Denn nur die Trauer über das Ungeheuerliche, das in menschlichen Seelen losgetreten wird (Jaradat hatte gerade ihren Bruder und einen Freund durch die israelitische Armee verloren), nur die Trauer auf beiden Seiten kann vielleicht den Teufelskreis der Gewalt lösen. Dazu gehört eines: sich in die Position des anderen zu versetzen, zu differenzieren. Das ist die Bastion jeglicher Kunst, die ernst genommen werden will. Die radikalen Offiziellen Israels und radikalen Fanatiker Palästinas können das längst nicht mehr. Hier gilt nur wie auch bei den Falken in der US-Regierung ein blindes Freund-Feind-Denken. Der Israelit Feiler lebt dieses Denken des trauernden Sich-Versetzens in seiner Kunst vehement und mit extremen Mitteln vor – in seiner Musik, jetzt ähnlich in der Installation. Aber eher wohl wird man ihm den Status des „echten Israeliten” absprechen, als darüber nachzusinnen, ob beim eigenen Rechtfertigungsdenken alles stimmt.

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