Sie teilen Ihren Leserinnen und Lesern lapidar mit, dass Sie nun auch „nach den Sternchen greifen“ (nmz Nr. 4/2021, S. 1). Was dann folgt, überzeugt mich nicht, das sind alles Selbstverständlichkeiten der Berichterstattung, die keines Sternchens bedürfen. Auch wenn Ihre Absicht ehrenwert sein mag, die Umsetzung ändert weder etwas an gesellschaftlicher Ungleichheit noch schafft sie mehr Gerechtigkeit in der Sprache. Im Gegenteil: Mit dem Anhängen von „innen“ an die in der Regel männliche Form werden Frauen zum Anhängsel des Mannes degradiert. Angehängt bleibt abgehängt, auch wenn die Intention eine andere sein mag. Das zementiert genau das, was es vorgibt, ändern zu wollen.
Heute kann jede und jeder, die sich durch bestimmte Wörter beleidigt und verletzt fühlen, mit lautstarker Unterstützung rechnen. Das gilt anscheinend nur nicht für die Frauen, die sich durch das Sternchen-Gendern verletzt fühlen, weil sie nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden wollen und sich nicht als sprachliches Apendix des Mannes sehen. Einige halten das sogar für dezidiert frauenfeindlich, auch wenn es natürlich nicht so gemeint ist. Ob das richtig oder falsch ist, mag dahingestellt sein. Man sollte aber auch diese Sichtweise ernst nehmen.
Noch problematischer ist die Einführung eines Sonderzeichens – nichts anderes ist der Stern –, um damit mitten in Wörtern bestimmte gesellschaftliche Minderheiten zu kennzeichnen. Diese Sprachregelung soll angeblich eine „Inklusion nichtbinärer Personen“ bewirken. Menschen oder gesellschaftliche Gruppen quasi als Fußnote unter einem Stern zu subsummieren, ist höchst bedenklich. Die betroffenen Menschen, um die es angeblich geht, werden somit zum Objekt einer vermeintlich korrekten Sprache. Ich kann zumindest nachvollziehen, dass manche die Sternchen-Methode sogar als menschenverachtend ablehnen. Ob das richtig oder falsch ist, mag ebenso dahingestellt sein. Es lohnt sich aber, auch darüber kritisch nachzudenken.
Vielen scheint nicht klar zu sein, was sie in guter Absicht mit dem Sternchen-Gendern lostreten. Die in diversen akademischen Zirkeln ausgetragenen Kontroversen, wer zum Sternenkreis bereits dazugehört und wen man eventuell noch vergessen haben könnte, haben schon kafkaeske Züge. […]
Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in einem Land leben, in dem allen Menschen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch das Grundgesetz garantiert ist, ganz gleich, welches Geschlecht sie haben oder welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Die Aussagen der Artikel 2 und 3 sind klar und eindeutig: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt …“ (Art. 2, Abs. 1). Wenn jemand meint, dass mit der Formulierung „Jeder“ nur Männer gemeint sein könnten, der konstruiert in das Grundgesetz etwas hinein, was diesem zutiefst widerspricht. Statt kontraproduktiver sprachlicher Sophisterei, sollte man sich bei der Veränderung gesellschaftlicher Benachteiligung und Ungerechtigkeit selbstbewusst genau auf diesen Satz berufen. Und es lohnt sich auch, für die Umsetzung des Artikel 3 des Grundgesetzes in allen Bereichen zu kämpfen.
Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, sich um eine Sprache zu bemühen, die nicht ausgrenzend ist. Das Sternchen-Gendern trägt dazu nichts bei. Es hat lediglich den Effekt, dass sich diejenigen, die diese Methode anwenden, moralisch besser fühlen. Mit dem Sternchen wird eine bestimmte weltanschauliche Haltung offenbart. Der Stern ist sofort erkennbar, ohne dass ich nur einen einzigen Satz lesen muss. Ich zeige der Welt mit dem Stern, wo ich stehe. Im Umkehrschluss wird unterstellt, wer den Stern nicht benutzt, der grenze damit andere aus. Das schafft einen Rechtfertigungsdruck und führt zu einer Vermeidungssprache.
Zwar ist bis vor geraumer Zeit niemand (angeblich genderneutrales Pronomen, wird auch schon angezweifelt, weil manche da den Mann heraushören) bei dem Plural „Die Zuhörer applaudierten“ auf die Idee gekommen, dass nur Männer geklatscht haben. Jetzt daraus sogar eine Benachteiligung abzuleiten, ist nichts weiter als eine Unterstellung. Was ist die Konsequenz?
Die Korrekten zerlegen die „Zuhörer“ gendergerecht, die Vorsichtigen schreiben „Zuhörerinnen und Zuhörer“ oder „die Personen im Saal“. Und dann gibt es noch die Ängstlichen, die sich zunehmend einer Ausweichsprache bedienen und neutral, aber sprachlich nicht kor rekt, von den „Zuhörerenden“ sprechen. Und wer gar meint, sich mit englischsprachigen Konstrukten aus der Affäre ziehen zu können, hat sich verkalkuliert. „Userfreundlich“ lässt sich genauso gut Sternchen-Gendern oder verholpern als „benutzerinnenund benutzerfreundlich“. Dann schon lieber „userfreundlich“, in der Hoffnung, dass es unbemerkt durch die Zensur geht.
[…] Vor diesem Hintergrund halte ich administrative Eingriffe in Sprache durch Anordnungen der Exekutive, verordnete Sprachvorgaben an Universitäten oder Vorschriften von Redaktionen für absolut fehl am Platze. Der Versuch, anderen in einer weltanschaulich aufgeladenen Kontroverse einen bestimmten Sprachgebrauch vorzuschreiben, ist nichts anderes als die Einforderung eines Bekenntnisses, auf welcher Seite des Grabens man steht.
Wer gendern möchte, der möge das gerne tun, es soll aber niemand dazu gezwungen werden. Gleiches gilt andersherum, ein Verbot des Genderns ist ebenso wenig hilfreich. Niemand sollte sich zum Richter aufspielen, wenn es um die Sprache anderer geht. Das gilt nicht nur für das Gendern, sondern gleichermaßen für die Verteufelungen von Wörtern und Begriffen.
Ich mag nicht glauben, dass es bei Ihren Diskussionen in der Redaktion lediglich um „die grammatikalischen und typografischen Bedenken“ gegangen sein soll, ohne die politischgesellschaftliche Dimension dieser Frage mit zu bedenken. […]
Heute geht es nicht mehr um vergleichsweise belanglose Rechtschreibregeln, sondern um tiefe Eingriffe in Sprache und die Hoheit über die Auslegung von Begriffen. Wer sich dem nicht anschließen will, muss sich permanent rechtfertigen, der werden an Universitäten Punkte abgezogen, die wird als Frauenfeindin an den Pranger gestellt, der darf nicht mehr frei publizieren.
Ein Folgeproblem, das alle gerne ausklammern, muss in der ganzen Debatte immer mitbedacht werden: Wer darf die Regeln festsetzen und was passiert mit denjenigen, die sich nicht daran halten?
Konkret an Sie die Frage: Was werden Sie künftig mit Autorinnen oder Redakteuren machen, die sich nicht an Ihre Vorgaben halten? Dürfen die bei Ihnen künftig nichts mehr veröffentlichen? Oder werden deren Texte redaktionell nachgegendert? […]
Ich würde es begrüßen, wenn alle Redaktionen, die sich für das Sternchen-Gendern entschieden haben, nur einmal eine konsequent durchgegenderte (auch ein wunderschöner Begriff) Ausgabe herausbringen würden, also auch mit konsequent gegenderten Artikeln usw. Dann sollte die Diskussion in den Redaktionen noch einmal neu aufgerollt werden. Ich bin mir sicher, dass nur eine offene Lösung, die verschiedene Schreibweisen nebeneinander zulässt, die einzig praktikable Lösung sein kann. Sie haben eine Entscheidung getroffen, die sprachliche Freiheit grundlegend reglementiert. Das ist besonders bedauerlich, wenn es um die Künste geht. Hier sind statt sprachlicher Bevormundung viel mehr Sensibilität, Kreativität und Vielfalt gefragt. Wer mit Stern gendern will, der möge das tun, genauso sollte jemand gleichwertig das generische Femininum neben dem generischen Maskulinum benutzen können (dem ich persönlich immer mehr abgewinnen kann, weil es sich gut schreiben und vor allem sprechen lässt). Und wer das nicht möchte, sollte selbst entscheiden, wie sie sich ausdrücken will. Aber bitte keine Vorschriften.
Walther Engel, Worpswede
PS: Auf eine Debatte in der nmz zum Thema „gendergerechtes Singen“ freue ich mich schon. Mir geht seit längerem durch den Kopf, was dazu wohl noch kommen wird. Ich bin froh, dass Zuckowski das in seinem Leserbrief auch angesprochen hat.
Die Antwort:
„Liebe Leser*innen“
Diese Überschrift des Editorials in der April-Ausgabe der nmz hat offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt, worauf einige Zuschriften hindeuten, die uns erreichten. Dabei war wohl die Größe des abgedruckten „Gendersternchens“ ein wichtiger Auslöser, denn sonst hätten sich die Kritiker (ausschließlich Männer) eigentlich schon früher melden müssen. Denn seit einigen Jahren schon haben wir, wenn Autor*innen es wünschten, diese Form der gendersensiblen Sprache eingesetzt. Neu war lediglich die Entscheidung, die von uns schon seit über 20 Jahren regelmäßig verwendete Form „/-innen“ durch das Sternchen zu ersetzen. Wie aufmerksame Leser*innen festgestellt haben dürften, ist es außerdem keineswegs so, dass wir dies nun als allgemein verbindliche „Sprachvorgabe“ festgesetzt hätten. Wir können somit Walther Engels Fragen (siehe nebenstehenden Leserbrief) mit Nein beantworten: Selbstverständlich dürfen Autor*innen weiterhin das so genannte „generische Maskulinum“ verwenden, wir unterstellen ihnen gar nichts. Es werden Texte auch nicht redaktionell „nachgegendert“. Stattdessen gilt, wie Walther Engel zu Recht schreibt: „Wer gendern möchte, der möge das gerne tun.“ Wir hoffen, dass unsere Leser*innen mit dieser gedruckten Vielfalt, der konsequenten Inkonsequenz leben können.
Als Hintergrundlektüre sei allen Interessierten der Artikel „Geschlechtergerechte Sprache: Zumutung, Herausforderung, Notwendigkeit?“ empfohlen, der in Heft 2/2021 der Zeitschrift „Sprachreport“ des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache erschienen ist. Carolin Müller-Spitzer nimmt darin der alarmistischen Berichterstattung, die sich in letzter Zeit breit gemacht hat, mit unaufgeregter Klarheit den Wind aus den Segeln: „Wenn sich immer mehr Menschen dafür interessieren, die geschlechtliche Vielfalt sprachlich sichtbar zu machen, dann wird sich Sprache dadurch nachhaltig verändern; wenn nicht, dann nicht.“
Juan Martin Koch