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Wenn der Schamane zweimal bimmelt

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Neulich las ich eine Neue-Musik-Konzertkritik mit dem wunderschönen Titel „Die Fragwürdigkeit des Lebens ausdrückend“ – eine erstaunliche Überschrift für einen Bericht über ein kleines Kammerkonzert des Bayerischen Tonkünstlerverbandes, das solche tiefen Fragen sicherlich nicht stellen wollte. Wie man denn nun das Leben als Gegenüber befragen kann, wurde in dem Text nicht ganz klar, man kann aber annehmen, dass dies zu tun irgendwie ganz doll tiefsinnig ist.

So zeigt sich die Sehnsucht nach den großen Sinnfragen, die so viele von uns Neue-Musik-Fuzzis innig durchdringt. Denn es fehlt da ja was in den Konzerten, in denen das Lebendige ständig in Frage gestellt werden muss, um die Unsinnlichkeit der Darbietungen zu erklären. Man muss also Strategien entwickeln, sich das nötige „Rausch“-Vitamin auf andere Weise zuzuführen. Und das nimmt mitunter kuriose Formen an.

Als Darmstadt am trockensten und verknöchertsten war, erregte zum Beispiel der sympathische Neuankömmling John Cage großes Aufsehen mit seiner Melange aus weisem Humor, östlicher Philosophie und schönen Wortgebilden (was dann später leider in Biographien über ihn mit Titeln wie „Tosende Stille“ mündete, über die sich Max Goldt gerade erst zu Recht lustig gemacht hat). Das war natürlich wie ein frisches Lüftchen in stickiger Zeit, kein Wunder, dass man sich da Vieles, was die Musik vielleicht gar nicht selber leisten konnte oder wollte, einfach gedanklich dazuinterpretierte. Stille kann ja nur „beredt“ werden (eine der drögen Lieblingsformeln, die bei der Beschreibung von Cages Musik verwendet wird), wenn man sich selber was Ominöses dazu denkt – ist ja auch irgendwie wahnsinnig kreativ und wir sind alle Künstler, nicht wahr?

Cage selber würde sich wahrscheinlich köstlich darüber amüsieren, wie heute selbst seine zusammengestoppeltsten Verrichtungsanweisungen mit kultischer Verehrung bedacht werden – er selbst verließ ja seine Aufführungen gerne oder schlief ein bisschen dabei. Dennoch gelang es ihm nicht immer, eine gewisse messianische Wirkung seiner Worte zu verhindern. Vielleicht spielte er auch ein bisschen damit, wer weiß. Aber letztlich wurde er zur Projektionsfläche der Sinnsuchenden.

Andere Komponisten gehen einen Schritt weiter und streben die totale Überwältigung der Zuhörer durch spirituelles Gedöns an, wie etwa Stockhausen. Erstaunlich Viele fahren bei ihm ja eher auf diese Metaebene als auf die tatsächliche musikalische Qualität seiner Spätwerke ab – letzteres wäre zugegebenermaßen auch schwieriger.

Als Giacinto Scelsi kurz vor seinem Tod ein Orchesterkonzert mit natürlich nicht von ihm selbst komponierter, aber auf geheimnisvolle Weise durch seine geistigen Energien bei bezahlten Auftragsschreibern angeregter Musik in Frankfurt besuchte, forderte er das Publikum zu einem gemeinsamen großen Zwangs-„Om“ auf. Und siehe da, selbst die anwesenden ultrakritischen Sittenwächter der Moderne fügten sich ergriffen in den kosmischen Befehl des greisen Meisters und standen auf wie eine Herde Schafe, einer tiefen inneren Sehnsucht nach Erhabenheit folgend – und damit einen der mit Abstand peinlichsten Momente in der Geschichte der Neuen Musik kreierend.

Und während man im Sprechtheater für den Begriff „Happening“ inzwischen zu Recht nur noch ein Gähnen übrig hat und sich sehnlich wieder gekonnt durchinszenierte Stücke wünscht, muss ein Schlingensief auf der Opernbühne nur ein wenig Mysterienspiel mit entferntem Bezug zum Stück zelebrieren, und selbst die kritischsten Kritiker werden plötzlich zu willig stammelnden Gehülfen des knuffigen Schamanen aus Oberhausen und zelebrieren eine „Wiederkehr des Rituals“.

Ich kann ja diese Ausgehungertheit nach irgendeiner Form von Hingabe nachvollziehen, und die wird hier ja geschickt bedient, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber es hat natürlich etwas unglaublich Komisches, wenn sich die alte müde Avantgarde quasi durch die C.G. Jung’sche Hintertür der Legitimation durch das „Kollektive Unbewusste“ die kleinen geilen Luststöße holt, die sie sonst so vermisst … und dann auf gröbsten Unfug gänzlich unbewusst hereinfällt.

War da nicht mal irgendwas mit Kritik an dem ganzen Erhabenheitsschmarrn? Ist es schon wieder so weit, dass wir kultische Blut-und-Boden-Rituale und schwummrige Mystik brauchen? Vor knapp 500 Jahren kämpfte Luther um die Abschaffung des Kirchenablasses und Reliquienkultes, scheinbar erfolglos, denn heute müssten vor manchen Neue-Musik-Konzerten Warnschilder aufgestellt werden, dass man mit dem Konzertticket auch den Einlass zu einer Werbeveranstaltung für Esoterik erwirbt. Anstatt eines normalen Konzertes sieht man nämlich Hohepriester, die sich weihevollen Zeremonien hingeben, um uns von den Sünden des falschen Hörens reinzuwaschen (natürlich ist ihre Art zu hören die einzig Richtige, wer hätte das gedacht). Nicht nur einmal habe ich erlebt, dass das Publikum von einem mit einer Ziegenmaske bekleideten Trommler zum Niederknien und Beten aufgefordert wurde – das hätte man doch gerne vorher gewusst und wäre gar nicht erst hingegangen, denn schon der gute alte Schönberg warnte uns virtuos genau davor mit seinem „Tanz ums Goldene Kalb“. Man höre auf ihn und andere Urväter der Moderne, die wussten noch, wie der verwesende Hase läuft und hauten rechtzeitig ab.

Es ist vollkommen austauschbar, ob es sich um neue Russenmystik, pseudoindianische „Weisheiten“ aus dem Poesiealbum oder kryptische Verkündungen von sexbesessenen Stocki-Aliens vom Sirius handelt – alle Schamanen bewegen sich gefährlich nahe an der bei den neuen TV-Esoteriksendern so beliebten „Energieaustausch“-Praxis, viel profaner ausgedrückt mit: „Ich will deine Kohle!“ Irgendeiner muss ja den ganzen Quatsch bezahlen.

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