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Diese Liegestühle werden bestreikt: Das Dortmunder „Weiße Rössl“ fiel aus. Foto: Theater Dortmund
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Wenn Orchester streiken – vor dem Spitzengespräch lassen DOV und Bühnenverein die Muskeln spielen

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Der Sturm hat begonnen: Am Freitag und am Wochenende waren Vorstellungen in acht Städten von Orchesterstreiks betroffen: Frankfurt am Main, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Leipzig, Magdeburg, Münster und Stuttgart. Eine besonders fragwürdige Form der Publikumsbefriedung war in Leipzig in letzter Minute verhindert worden: Das Orchester untersagte die Verwendung eines Probenmitschnitts, mit der das Theater eine „Schwanensee“-Vorstellung retten wollte.

Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung: „Die Zeit der Warnstreiks ist vorbei.“ Warum die Gewerkschaft die jüngste Verhandlungsrunde mit dem Deutschen Bühnenverein (DBV) hat platzen lassen – es war der bislang letzte Versuch, über die Neufassung des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) Einigkeit zu erzielen –, ist auf den ersten Zeitungsleserblick kaum ersichtlich. Gestritten wird um Details der „Anpassungsklausel“, die die Bindung der Orchestermusiker an die Tarifentwicklung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gewährleistet.

Misstrauen herrscht bei der DOV, inwieweit diese Anpassungsautomatik tatsächlich greift. Umgekehrt wittert DBV-Geschäftsführer Rolf Bolwin das abenteuerliche Bestreben, Abschlüsse einklagen können zu wollen. „Vollkaskomentalität“ sagt er dazu. Die DOV wiederum sorgt sich um den Bestand eines bisher weitgehend einheitlichen Tarifrechts der künstlerisch Beschäftigten. Was ist, fragt Mertens, wenn der neue Rechtsträger nicht in die kommunalen Arbeitgeberverbände eintritt?

So diffizil der Sachstand sich darstellt, so sehr folgt dessen öffentliche Darstellung dem Muster des Simplifizierens, Emotionalisierens. „Abkoppelung vom öffentlichen Dienst“, wovon die DOV gern spricht, scheint jedenfalls ein zu grober Klotz, als dass damit der differente Diskussionsstand abgebildet wäre. Die DOV ihrerseits ärgert sich über die Taktik des DBV, den Musikern ab 1. November 08 das Zuckerbrot einer 1,5 Prozent-Erhöhung nebst 50 Euro monatlich bei kommunalen Orchestern zu gewähren, der Musiker-Organisation als Ganzer zugleich jedoch mit der Peitsche einer Kündigung des Gesamt-Tarifvertrags zum 31. März 09 zu drohen. Am 4. Dezember will man sich noch einmal treffen.

Im Vorfeld des Spitzengesprächs legte der Bühnenverein noch einmal nach. Unter der Überschrift „Orchesterstreik: Gezielte Desinformation durch Musikergewerkschaft“ veröffentlichte sie am 1. Dezember folgende Pressemeldung:

Die Musikergewerkschaft DOV betreibt zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen sowohl gegenüber den eigenen Mitgliedern als auch gegenüber der Öffentlichkeit eine gezielte Desinformation.  So wird von ihr nach wie vor behauptet, der Deutsche Bühnenverein, der die Arbeitgeberseite vertritt, wolle die Orchester von den Lohnerhöhungen des öffentlichen Dienstes abkoppeln. Eine solche Absicht bestand und besteht nicht. Ebenso falsch ist die uneingeschränkte Behauptung der DOV, den Orchestermusikern würden seit 2005 die Lohnerhöhungen des öffentlichen Dienstes vorenthalten. Lohnerhöhungen im Sinne einer prozentualen Steigerung hat es in den Jahren 2005 bis 2007 im öffentlichen Dienst gar nicht gegeben. Vereinbart wurden lediglich Einmalzahlungen, die in der Tat an die Orchester nicht weitergegeben  wurden, um das abweichend vom öffentlichen Dienst noch gezahlte Urlaubsgeld und ein höheres 13. Monatsgehalt zu kompensieren. Außerdem hat es zwischenzeitlich im öffentlichen Dienst eine Reform des die Arbeitsbedingungen regelnden Tarifvertrages gegeben, die auch mit einer Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit verbunden ist. Einer solchen Reform verweigert sich die DOV beharrlich. Dennoch hat der Tarifausschuss des Bühnenvereins in seiner Sitzung am 13. Oktober 2008 eine Lohnerhöhung beschlossen, die die weitere Ankopplung der Orchester an die Lohnerhöhungen des öffentlichen Dienstes sicherstellen soll.

Abgelehnt wird seitens des Bühnenvereins lediglich ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch der Musiker auf Übernahme der Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes ohne Berücksichtigung der dafür ausgehandelten Bedingungen. „Über die Übernahme und diese Bedingungen – etwa eine Arbeitszeitverlängerung – muss wie im öffentlichen Dienst gleichzeitig verhandelt werden“, betonte der Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, heute in Köln. Diese Verhandlungen könnten nicht ersetzt werden durch die Entscheidung eines Gerichts. Das zuzulassen widerspreche der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie.

Die Antwort der DOV wird vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Was den Termin am Donnerstag beitrifft, so gibt sich Gerald Mertens „verhalten optimistisch“, dass das Spitzengespräch zu einer zufriedenstellenden Lösung führt. „Es muss einen signifikanten Fortschritt geben, noch vor Weihnachten muss ein Punkteprogramm stehen“, zitiert ihn die Nachrchtenagentur ddp. Sollte dies nicht gelingen, könnten weitere Aktionen und Streiks nicht ausgeschlossen werden.

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