Viele meiner Leser werden sich fragen, wie ein typisches Kompositionsstudium eigentlich verläuft und was es von anderen Musikstudiengängen unterscheidet. Mit dem Komponieren hat man natürlich die geringsten Aussichten auf ein geregeltes Einkommen. In dieser Hinsicht ähnelt das Kompositionsstudium also dem Philosophiestudium – es ist hochinteressant und wichtig, aber eher ein erweiterndes Studium. Der „reine“ Kompositionsstudent – früher noch recht häufig anzutreffen – ist inzwischen eine Seltenheit, die meisten meiner Studenten haben zusätzliche Instrumental-, Vokal- oder Theoriestudiengänge hinter oder vor sich.
Der typische Kompositionsstudent von heute hat an einem oder mehreren der in Deutschland zahlreichen Jugendangebote teilgenommen, entweder an einem der noch wenigen verbleibenden Musikkonservatorien (so wie ich vor 100 Jahren), als Jungstudent oder zum Beispiel in Weikersheim („Jugend komponiert“). Mit 18 oder 19 ist man mit der Schule fertig (alle Kompositionsstudenten, die ich bisher kennengelernt habe, waren ausnahmslos Gymnasiasten) und bewirbt sich an einer oder mehreren Musikhochschulen, wobei ein schon nicht zu kleines Werkverzeichnis vorausgesetzt wird, echte „Anfänger“ gibt es an der Musikhochschule nicht. In München zum Beispiel gibt es im Schnitt jedes Jahr um die 50 bis 70 Bewerbungen, von denen etwa 15 bis 20 zur Aufnahmeprüfung eingeladen werden. Von diesen werden etwa 5 bis 8 aufgenommen.
Das Grundstudium dauert 8 Semester und ist inzwischen genauso reglementiert wie die anderen Studiengänge: nach 4 Semestern Zwischenprüfung, am Ende Bachelor. Die gut benoteten Abgänger kommen automatisch ins Masterstudium, die anderen können sich bewerben, dann folgen normalerweise 4 weitere Semester. Eine weitere Verlängerungsmöglichkeit ist der neu eingeführte „3rd cycle“ mit erhöhter Studiengebühr, der bei uns „Meisterklasse“ heißt und bei den Kompositionsstudenten sehr gefragt ist, da sie dann länger studieren können, ohne gleich in der freien Wildbahn überleben zu müssen. Auch verlängernde Urlaubssemester sind sehr beliebt.
Mit fließendem Übergang kommen nun in den meisten Fällen die vielen in Deutschland verfügbaren Aufenthaltsstipendien, entweder innerdeutsch an Orten wie der Villa Concordia oder Schloss Solitude, im Ausland an Orten wie der Cité des Arts in Paris oder der Villa Massimo. Mit einigem Glück und Geschick hält man so bis 35 oder länger durch, danach beginnt der echte Ernst des Komponistendaseins. Die meisten suchen nun eine akademische Anstellung oder Arbeit als Lehrender, die wenigsten schlagen sich wirklich freischaffend durch, meistens zusätzlich als ausübende Musiker arbeitend.
Man sieht also: Solange die Komponisten studieren, befinden sie sich in einem geschützten Raum, der ihnen die Entwicklung ihrer eigenen Kreativität erst ermöglicht, aber auch die Gefahr eines Elfenbeinturms darstellt. Dennoch gibt es, was das Ausprobieren und sich erproben angeht, keinerlei Alternative zu einem Kompositionsstudium an der Musikhochschule, wenn man im Bereich der Kunstmusik arbeiten will. In der Filmmusik ist wiederum ein Kompositionsstudium sehr nützlich, aber keineswegs zwingend.
Aus dem Elfenbeinturm aber immer wieder Mal einen Blick auf die „wirkliche“ Welt anzuregen, ist unsere Verantwortung als Lehrende. Denn letztlich ist der akademische Schutzraum sowohl Chance als auch Irrtum, denn der wilde Raum der Musik lässt sich nicht einteilen in „ordentlich“ und „undordentlich“, lässt sich nicht mit ECTS-Punkten bewerten und interessiert sich nicht für Studienabschlüsse. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein.