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Wie ein Buch entsteht

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Früher gab es noch Schilderungen, die hießen „Wie ein Meisterwerk entsteht“ oder ähnlich und spürten den verschlungenen Wegen des kreativen Denkens nach. Reflexionen über den Schaffensprozess haben eine lange Tradition; sie reicht von der Renaissance bis in die heutige Zeit, zu Komponisten wie Henze, Lachenmann und Huber. Oft verbinden sich mit ihnen grundlegende Diskussionen, wie etwa bei Thomas Manns „Doktor Faustus“ die Kontroversen mit Schönberg und Adorno.

Heute sind geistige Auseinandersetzungen zu einem neuen Werk in der Öffentlichkeit rar geworden.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht nicht mehr der kreative Prozess, sondern der Prozess der Vermarktung. Beispielhaft dafür ist die Vorreklame, die in den letzten Wochen für das erste Buch der bis dahin unbekannten jungen Münchner Autorin Harriet Köhler gemacht wurde. Der Veröffentlichungstermin Ende Februar wurde angekündigt wie eine Uraufführung in den performing arts und schon vorab als Ereignis gefeiert. Die Berichte vibrierten vor Aufregung, jeder wollte ganz nah dran sein an diesem erfolgversprechenden literarischen Take-off. Nichts wärmt eine Kritikerseele mehr als das Bewusstsein, sich rechtzeitig auf die richtige Seite geschlagen zu haben.

Gut protokolliert hat das die Münchner AZ, ein Blatt, das selbst gerne Hypes lanciert und auch im vorliegenden Fall zugleich Beobachter und Akteur war. Schon dass der lange Artikel nicht im Feuilleton, sondern ganz prominent auf Seite drei platziert war, machte aus dem Thema eine kleine literarische Sensation: „Ein Debut wie ein Donnerschlag“ war da zu lesen.

Die Auserwählten, denen der Verlag das Buch vorab zur Verfügung stellte, auf dass sie in den Medien eine verkaufsfördernde Stimmung verbreiteten, sonderten willig die erwarteten Statements ab: Der Kölner Publizist Martin Stankowski (62) zeigte sich laut AZ fassungslos angesichts der Intensität, mit der sich die junge Autorin in die Nöte alter Männer hineindenken kann. Ex-Tagesschau-Sprecher Ulrich Wickert hat sie bereits in seine nächste Büchersendung eingeladen, Albert Ostermeier an das von ihm geleitete Augsburger Brecht-Festival. Und Manuel Andrack – der Mann am Katzentisch bei Harald Schmidt – bekannte, ebenfalls laut AZ: „Harriet Köhler macht süchtig.“

Sie alle setzten gut sichtbar ihre Chips in diesem literarischen Roulettespiel, das keines ist, weil es ganz als Win-Win-Situation angelegt ist. Irgendwie ging es in den medialen Statements zwar auch noch um Andeutungen des Inhalts – eine zerrüttete Familie von heute, was denn sonst – und der literarischen Verfahren. Doch das ist in einer solchen Medienkampagne Nebensache. Interessant ist nicht die erzählte Geschichte, sondern die zu erwartende Erfolgsgeschichte. Und da muss man natürlich dabei sein.

Das Buch ist noch nicht erschienen, und schon gilt: Les jeux sont faits. Nichts geht mehr, denn die Medien-Prominenzen haben die öffentliche Meinung flächendeckend vorgeprägt. Der Kritiker, der das Buch nun noch zu rezensieren hat, könnte sich eigentlich gleich arbeitslos melden. Was er schreibt, sind nur noch Ornamente am Output der PR-Maschinerie. Er hat keine Möglichkeit mehr zur autonomen Argumentation. Entweder schwimmt er im Kielwasser der prominenten Opinion Leaders mit, oder er schreibt, um überhaupt wahrgenommen zu werden, einen plakativen Verriss. Doch nichts besser als das! Die anschließende Kontroverse in den Feuilletons wird das Geschäft nur anheizen.

Merke: Um einen Erfolg zu erzielen, muss man ihn herbeireden. Man in-szeniert schon im Voraus einen Medienrummel und stellt dann medienwirksam fest: „Das neue Buch erzeugt schon im Voraus einen Medienrummel“, was ihn selbstverständlich nochmals verstärkt.

Sodann braucht es als Sprachrohre so genannte Prominente. Ob aus Kultur, Fußball oder Showgeschäft, ist egal – je prominenter, desto besser. Ihre Empfehlungen sind ultimativ und bewirken einen Sympathietransfer. Wer den Kaiser mag, mag auch die Telefonfirma, für die er wirbt. Wer Andrack mag, mag auch Köhler. Und als dritte PR-Regel gilt: Denk nicht zu viel über die Inhalte nach. Das lenkt nur ab vom Geschäft.

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