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Moritz Eggert. Foto: Hufner
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Wie hört man eigentlich „Neue Musik“?

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Absolute Beginners 2021/11
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Ich spreche sehr gerne mit meinen Studierenden darüber, wie die von ihnen geschriebene Musik eigentlich beim Hörer ankommt. Wird sie so gehört wie intendiert? Wird sie vielleicht auf interessante Weise missverstanden? Die Intentionen der Komponierenden sind nicht immer das, was man vordergründig wahrnimmt. Umgekehrt suchen Interessierte an Neuer Musik oft Hilfestellungen, wie man unbekannte Musik am besten zum ersten Mal anhört.

Um mal einen Vergleich zu geben: Für eine ganz normale Liebeskomödie oder einen 08/15-Actionfilm braucht man kein Vorwissen, der Film geht los und man wird vermutlich alles verstehen. Eine Folge von „Game of Thrones“ könnte dagegen verwirrend sein, wenn man mittendrin einsteigt – zu komplex sind die Vorgeschichten der verschiedenen Charaktere.

Selbst in der angeblich „leicht verständlichen“ Populärkultur gibt es also Situationen, in denen ein immenses Vorwissen nötig ist, um etwas zu verstehen. Tatsächlich ist das immer mehr der Fall bei den immer komplexer werdenden Serien, die im Moment so beliebt sind. Auch bei klassischer Musik hilft ein solches Vorwissen: Wer ist die Komponistin/der Komponist? Aus welcher Zeit stammt die Musik, welche Themen dominierten diese Epoche? Wie entwickelte sich diese Künstlerin? Um was geht es in diesem Stück? Solche Informationen machen Spaß zu sammeln, genauso wie es einem Serienfreak Spaß macht, die Hintergründe einer Serie im Internet zu recherchieren und deren Details mit anderen Fans zu diskutieren. Natürlich kann man zum Beispiel ein berühmtes Stück wie „Different Trains“ von Steve Reich einfach mal so hören – man nimmt dann wahr, dass Sprachsamples kommen, in denen es um Zugstationen geht, und wie diese mit dem Streichquartett rhythmisch verwoben werden.

Das Stück hat Drive und ist erst einmal leicht zu hören. Wenn man dann aber darüber liest und versteht, dass es um Steve Reichs gedankliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust geht und dass die New Yorker Zugschaffner, die er für die Samples interviewt hat, eine Analogie zu Zügen herstellen sollen, die Juden ins Konzentrationslager transportiert haben, verändert sich die Wahrnehmung des Stückes völlig. Es bekommt eine weitere Dimension, die sogar für das wirkliche Verständnis der Musik essenziell ist, denn die zugrundeliegende Idee des Stückes muss verstanden werden, damit die Musik nicht einfach nur an einem vorbeirauscht.

Neue Musik lädt grundsätzlich dazu ein, solche weiteren Ebenen zu suchen – jedes Stück hat eine Geschichte, und je mehr man über diese Geschichte erfährt, desto interessanter wird es. Anders als bei einem schnellen Popsong wird also ein gewisser Einsatz der Hörerin/des Hörers erwartet, eine Neugier, sich über den reinen Klang hinaus mit der Musik zu beschäftigen. Das ist in der Klassik auch so – Stücke wie die „Eroica“ von Beethoven oder das Requiem von Mozart sind eigentlich vor allem wegen der Geschichten populär, die mit der Musik verwoben sind. Diese sind mindestens genauso wichtig, wie die Musik selbst: Was wollte Beethoven mit der „Eroica“ ausdrücken, welche Frustrationen stehen dahinter? In welcher Situation befand sich Mozart, als er das „Requiem“ schrieb? Und so weiter.

Man kann also beim besten Willen nicht sagen „so und so soll man Neue Musik hören“, sondern muss für jedes Stück genau die Neugier entwickeln, die es erfordert. In der Populärkultur sind Menschen sehr wohl bereit dazu, komplexen Erzählungen zu folgen und dafür auch Energie aufzubringen – es gibt keinen Grund, warum Neue Musik nicht exakt dasselbe fordern könnte. Es wäre nur wichtig, dass sie auch die Faszination erzeugt, die die Hörer dazu einlädt, sich mit ihr zu beschäftigen.

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