In seinem Buch „Die digitale Revolution der Musik“ schreibt Harry Lehmann über den Wandel der Bedeutung von Institutionen durch die zunehmende Demokratisierung der künstlerischen Medien durch „Eplayer“. Als ich dadurch angeregt kürzlich im Bad Blog über die „akademische Blase“ schrieb, bekam ich von akademischen Kollegen eins auf den Deckel, von den nicht-akademischen sehr viel Lob.
Die akademischen Kollegen mögen vielleicht sagen, dass Applaus von Nicht-Akademikern Applaus von der falschen Seite ist. Aber warum ist es „falsch“, kein Akademiker zu sein? Ist die Außenwahrnehmung einer Institution wie einer Musikhochschule nicht auch sehr wichtig? Dazu gehört auch die Fähigkeit zur öffentlichen Selbstkritik. Wenn ich akademische Institutionen nur von außen kritisiere, wird diese Kritik innerhalb der Institution eher abgetan und ignoriert. Kritisiere ich aber die Akademien von innen, bin ich „Nestbeschmutzer“.
Diese gewachsene Kritikresistenz von Institutionen zu überwinden, ist nicht ganz einfach, aber sollte man deswegen lieber schweigen? Über den Sinn von etwas nachzudenken, heißt nicht, diesem Sinnlosigkeit zu attestieren.
Was mich frustriert: Zunehmend bekommen wir in der Kompositionsabteilung Bewerbungen von Studenten, die im Grunde nur klassische Kompositionsstile lernen, aber eigentlich gar keine Künstler sein wollen. Oft wird das Kompositionsstudium auch als eine Art Ersatzstudium für Filmmusik gesehen. Ich bekomme tatsächlich zahlreiche Bewerbungszuschriften wie: „Eigentlich will ich Musik für Film und Medien studieren, aber ich fühle mich dafür noch nicht weit genug, daher würde ich gerne bei Ihnen klassische Kompositionstechnik studieren“. Technik ist Mittel zum Zweck, kein guter Komponist wird sich weigern, sich mit Technik und Handwerk auseinanderzusetzen. Aber es ist kein Selbstzweck. Es reicht einfach nicht, sich als Komponist allein mit vorgefertigten Lösungen zu beschäftigen, wie zum Beispiel „Komponieren im Stile von Bach“. Wer nichts zu sagen hat, dem helfen keine Regeln und keine Systeme.
Dies spiegelt sich durchaus in Veränderungen innerhalb unseres Lehrplans wieder. So war es zum Beispiel in München früher notwendig, zum Kompositionsdiplom eine Doppelfuge im strengen Bach’schen Stil zu schreiben. Inzwischen ist es erwünscht, dass sich die Komponisten auf individuelle und freiere Weise mit dem Thema „Fuge“ auseinandersetzen, was originellere Lösungen anregt.
Kompositionsklassen sollten das kreative Herz einer Hochschule sein, von dem Impulse für die Musikästhetik der Zukunft ausgehen, keine Beschäftigungswerkstätten für Musikhandwerker. Wir brauchen mehr Individualismus und neue Ideen, weniger Reproduktion. Dasselbe würde für mich auch für Komposition für Film und Medien gelten.
Studieren vielleicht viele Künstler inzwischen gar nicht mehr bei uns?
So sagt etwa Heiner Goebbels: „Es wäre sicher für alle von Vorteil, die Kompositionsklassen auch zu öffnen für Talente mit einer anderen musikalischen Kultur.“ Es gibt diese Talente, von denen er spricht. Das Problem ist nur: sie würden an keiner Musikhochschule die Aufnahmeprüfung bestehen und wären auch mit dem akademischen Betrieb nicht kompatibel.
Unser Betrieb braucht bestimmte Bewertungskriterien – einerseits, um eine gesunde Konkurrenz zu etablieren, andererseits um mit bewerteten Abschlüssen auch einen Studienwert zu erzeugen. Ohne diese Kriterien ist es schwierig, Talente „fassen“ zu können. Immer wieder lehnen wir als Institution hochtalentierte Studenten ab, weil sie bestimmten Prüfungskriterien nicht entsprechen, was meistens an deren mangelnder musikalischer Allgemeinbildung liegt. Man kann aber musikalisch allgemein gut gebildet und dennoch eher untalentiert sein, echtes Talent dagegen ist „wild“, nicht immer bewertungskompatibel und sucht sich unkonventionelle Wege.
Wir haben an den Musikhochschulen zahlreiche Studenten, die sowohl wirklich talentiert als auch musikalisch gut gebildet sind, was ein Glücksfall ist. Aber die wilden Talente entgehen uns oft. Diese kommen zum Beispiel aus Ländern, die einen anderen Ausbildungsstandard haben. Oder es sind Talente die in allem gut und großartig sind, nur nicht in dem einen kleinen Nebenfach, bei dem sie in der Prüfung scheitern. Wäre es aber nicht schön, diese auch bei uns zu haben?
Auch von diesen Studenten würde ich mir wünschen, dass wir sie als Studenten hätten. Da es ihren (und unseren) Horizont erweitern würde. Und das kann doch nie schaden.