Immer wieder muss der Kompositionsstudent an sich aus seiner kleinen Höhle heraus und sich auf die Suche nach anderen Menschen begeben. So gerne nämlich dieses zarte Wesen lieber in Ruhe weiterkomponieren würde, ab und zu muss es raus, um Musiker zu finden. Zum Beispiel für Klassenkonzerte (die normalerweise einmal im Semester stattfinden).
Schnell stellt man dann allerdings fest, dass den meisten Studenten gar nicht bewusst ist, dass es überhaupt so etwas wie „Neue Musik“ oder gar Komponisten gibt. Das merken sie voller Panik meist erst kurz vor Ende des Studiums, wenn es gilt den „Neue Musik“-Schein zu machen. Früher gab es noch nicht mal einen solchen Schein, und ich bin sicher, dass viele meiner damaligen Kommilitonen die Hochschule verließen, ohne jemals einem lebenden Komponisten begegnet zu sein.
Nun naht aber das Kompositionsklassenkonzert und man muss etwas aufführen lassen. Also beginnt man zaghaft seine Kommilitonen zu fragen, ob sie bereit sind, da mitzumachen. Sind sie natürlich nicht. Ich kann mich erinnern, wie ich einmal zu Studienzeiten dringend ein Cello für ein Stück suchte und bei der hundertsten Telefonnummer an ein besonders charmantes Exemplar geriet. „Gibt es Geld?“, fragte sie. „Nein“, antwortete ich, und gab damit dieselbe Antwort, die meine Studenten heute auch geben müssen, denn Studenten dürfen für Hochschulkonzerte nie Geld bekommen, sonst ginge gar nichts mehr. „Also ist es für die Liebe?“, sagte sie neckisch, und innerlich schrie ich: „Ja, ja, es ist für die Liebe!“ (es handelte sich um eine besonders hübsche Cellistin), aber in Wirklichkeit sagte ich nur stotternd: „Äh, kann man so sagen.“ Das war das letzte Mal, dass ich je mit dieser Cellistin sprach.
Alle Jahre wieder erlebe ich, wie meine Studenten immer verzweifelter die Musikersuche für ein bestimmtes Projekt angehen. Als Lehrer kann man da nur bedingt helfen, da man selten dieselben Kantinenkontakte wie die jüngere Generation hat. Aber das hilft ja auch nichts, denn diese sagen natürlich auch alle ab. Gerade zu Prüfungszeiten sind die Hochschulen erstaunlicherweise wie ausgestorben. Die Studenten verstecken sich, zum Üben oder um den Komponisten zu entgehen …
Durch die Gänge schleichen Komponisten und suchen Musiker, aber jedes Mal wenn sie hoffnungsvoll ihre Partitur hochheben, verstecken sich alle. Das nimmt zum Teil absurde Formen an – so wagte es ein Student von mir einmal eine Fagottistin über Facebook anzufragen, ob sie bei einem Stück von ihm mitmachen würde. Daraufhin antwortete sie nicht nur nicht, sondern blockierte auch sein Profil für alle Zeiten, als sei er eine Art Spammer oder Stalker und nicht etwa ein Kommilitone an derselben Hochschule.
Wenn man Professoren fragt, ist es nicht viel besser. Ich kenne einen Professor an unserer Hochschule, der noch nie eine Mail beantwortet hat, egal ob sie von einem Studenten, von mir oder Angela Merkel kommt. Da er auch keine Mails der Hochschulleitung beantwortet, ist seine Stelle nun wohl ausgeschrieben. Komponisten greifen dann zur Selbsthilfe: Sie spielen schlicht und einfach ihre Stücke selbst. Daher entstehen immer viele Stücke mit denselben Instrumenten – meistens Klavier – was pädagogisch jetzt auch nicht so superwertvoll ist.
Wie man dieses ewige Problem lösen kann, weiß ich auch nicht. Aber es würde schon sehr helfen, wenn die Kollegen ihren Studenten ab und zu mal davon erzählen, dass es das sagenumwobene Wesen „Kompositionsstudent“ tatsächlich gibt, dass es nicht beißt und auch keine Tollwut hat. Und manchmal auch wunderschöne Musik schreibt, die es sich auch lohnt ohne Honorar und ohne ECTS-Punkte, aufzuführen. Für letztere fülle ich natürlich jederzeit als Professor ein Formular aus. The things I do for love …