Im April fällte ein Gericht in Stockholm ein Urteil, das weltweit Beachtung fand. Die vier Betreiber der schwedischen Internet-Musiktauschbörse Pirate Bay wurden wegen „Komplizenschaft bei der Bereitstellung von Raubkopien“ zu harten Strafen verurteilt: je ein Jahr Gefängnis und eine Schadensersatzzahlung von insgesamt 2,7 Millionen Euro. Da Pirate Bay das weltweit größte Netzwerk für den illegalen Austausch von Musikfiles darstellt, wird das Verfahren international als Musterprozess eingestuft. Die Verurteilten haben Berufung eingelegt; sollte das Urteil Bestand haben, wird es in anderen Ländern wohl zu ähnlichen Prozessen kommen.
Im Vorfeld gaben sich die vier Piraten noch siegessicher: Sie versuchten, sich als Robin Hood im Kampf gegen die internationalen Konzerne darzustellen und gaben sich als idealistische Musikfreunde aus: Ihr Netzwerk sei eine gemeinnützige Plattform und diene kulturellen Zwecken. Juristisch gesehen täten sie ohnehin nichts Böses; ihr Server stelle bloß die Kontakte zwischen den Tauschwilligen her, aber Musik sei darauf keine gespeichert. Wenn man nach Schuldigen suchen wolle, dann bitte sehr bei den weltweit verstreuten, einzelnen Usern.
Auf solche formaljuristischen Spitzfindigkeiten ging das Gericht nicht ein, zumal die Webseite offenbar auch stattliche Werbeeinnahmen generiert; die schwedische Polizei schätzt sie auf rund 1,7 Millionen Euro jährlich. Von Gemeinnützigkeit kann also keine Rede sein. Auch über ihre Absichten herrscht Klarheit. Sie ist ein Ableger der schwedischen Organisation „Piratbyrån“, über die es bei Wikipedia heißt, sie unterstütze „den individuellen Kampf gegen Copyright und geistiges Eigentum durch das Tauschen von Informationen und Kulturaspekten“.
Dass dieser Prozess ein so heftiges Pro und Contra ausgelöst hat, liegt nicht nur an der juristischen Grauzone, in der er sich bewegte, sondern auch an der altbekannten Tatsache, dass sich das antihierarchisch strukturierte Internet nicht unter Kontrolle bringen lässt. Es ist ein weitgehend rechtsfreier Raum. Von den Anhängern der großen Cyber-Freiheit wurden Fakten geschaffen, die kaum rückgängig zu machen sind. Dazu gehört auch die Aneignung fremden geistigen Eigentums in großem Stil. Ein Unrechtsbewusstsein gibt es dabei kaum, denn es machen ja alle mit bei diesem munteren Versteckspiel, in dem Millionen Jugendlicher dazu angeleitet werden, den bösen Musikkonzernen durch den Austausch von Schwarzkopien einen Streich zu spielen.
„Das hol’ ich mir“: Diese rücksichtslose Selbstbedienungsmentalität wird mit einem dumpfen antikapitalistischen Gerede legitimiert. Dass dabei die Interessen der Autoren und der sie vertretenden Institutionen massiv geschädigt werden, ist dabei egal. Die Verhältnisse sind pervertiert: Ein schwedischer Schriftsteller, der den Diebstahl öffentlich beklagte, wurde von der Meute im Netz als „gieriger Autor“ beschimpft.
Vielleicht trägt das jetzige Urteil ein klein wenig zur Bewusstseinsbildung bei. Viel Hoffnung sollte man sich nicht machen, denn wird im Internet an einem Ort ein Loch gestopft, tut sich gleich daneben das nächste auf. Doch vielleicht dämmert es langsam auch denen, die bisher schmunzelnd zugeschaut haben, dass diese Räuberpraxis nichts mit Freiheitsrechten und Jugendkultur und schon gar nichts mit Demokratie zu tun hat, sondern schlicht und einfach eine Enteignung der geistig Arbeitenden durch einen anonymen Pöbel darstellt, der sich bei seiner Beschaffungskriminalität an die Grundsätze der Bonusjäger aus der Finanzwelt hält: Raffe, was du kannst, sonst nimmt’s ein Anderer.