Die Digitalisierung revolutioniert bekanntlich das Musikleben, und da wundert es nicht, dass es auch das zentrale Thema einer Medienmesse wie der Midem ist, die stets Ende Januar in Cannes stattfindet. Auch der legale Musikkonsum verlagert sich mehr und mehr ins Netz. Laut neuester Zahlen ist der Online-Markt weltweit um acht Prozent gewachsen und hat das physische Tonträgergeschäft nun überholt.
Die Ausstellungsfläche der Midem ist in diesem Jahr erheblich geschrumpft, doch soll die Teilnehmerzahl gewachsen sein. Wie geht das zusammen? Offenbar lohnt es für die vielen kleineren Aussteller nicht mehr, nach Cannes zu fahren, und die Großen brauchen zum Abschluss ihrer Megadeals ohnehin keinen Publikumsverkehr. Doch sie sind mehr denn je präsent in den vielen Konferenzen, Round Tables und Fachgesprächen, wo es um die Neuaufteilung der Rechte am digitalen Musikkuchen weltweit geht, und sie nutzen die Medienöffentlichkeit der Midem zur Präsentation ihrer Geschäftsstrategien.
Zum Beispiel Sony: Der Global Player, im letzten Jahr noch durch eine Hackerattacke auf seine Nutzerdaten gelähmt, trat nun gleich mit vier Spitzenleuten vor die Presse, um sein Geschäftsmodell mit dem Streaming-Dienst „Music Unlimited“ zu propagieren. Innerhalb von drei Jahren will der Konzern 300.000.000 internetfähige Geräte verkaufen und stellt dazu einen Katalog von 15.000.000 Titeln bereit. Mit Gracenote, einer weltweit angebotenen Datenbank-Dienstleistung, die der automatischen Identifizierung von Musiktiteln dient, verfügt Sony zudem über ein effizientes Instrument, um Hörerprofile zu erstellen – selbstverständlich nur zum Nutzen des Users und zur Verbesserung des Angebots, wie es heißt. Doch Ähnlichkeiten mit den Methoden des Datensaugers Facebook sind unübersehbar.
Bemerkenswert ist ferner der Auftritt von Coca-Cola bei der Midem. Der Konzern sucht die strategische Partnerschaft mit dem Streaming-Dienst Spotify und will nun im Hinblick auf Olympia 2012 in London schon einmal 200.000.000 Dollar in die Musik investieren. Eine pikante Liaison zwischen Sport, Limonade und Tönen – die Digitalisierung macht’s möglich.
Streaming ist das Wort der Stunde: Die Musik kann millionenfach im Netz abgerufen werden, bleibt aber stets auf dem Server des Anbieters gespeichert. Das erschwert etwas das Schwarzkopieren und schafft Konsumentenbindung durch Abonnements. Die Frage, ob dadurch das Download-Geschäft beeinträchtigt würde, wurde in Cannes mit „eher nein“ beantwortet. Doch kannibalisiert werden vermutlich die Piratenkanäle, die momentan ohnehin in der Defensive sind. Die Verhaftung des großmäuligen Kim Dotcom in Neuseeland ist ein klares Zeichen, dass der Wind gedreht hat. Solche unter dem Etikett Freiheitskämpfer segelnden Internetpiraten werden es in Zukunft schwerer haben, sich Millionen zu ergaunern, indem sie die Gutgläubigkeit Millionen Jugendlicher missbrauchen, die nicht wissen, wen sie damit füttern und was Copyright bedeutet.
Der trivialmarxistische Hinweis, es gehe ja gegen die großen Konzerne, die man enteignen müsse, findet zwar noch immer Gehör, neuerdings wieder bis in E-Musikkreise hinein. Doch merken auch langsam die eifrigsten Verfechter einer grenzenlosen Konsumentenfreiheit, dass die Sachlage komplizierter ist. Wenn alles gratis zu haben ist, geht es nämlich vor allem den Urhebern an den Kragen.
Die Vorstellung, ein Schwarzmarkt könne den ganzen medienindustriellen Komplex, der von den Autoren profitiert, zum Kollabieren bringen, ist erstens illusionär und zweitens dumm. Denn die Konzerne haben ja auch die technologische Basis für den musikalischen Massenkonsum entwickelt und entwickeln sie immer weiter, was kein Piratenverein auch nur in Ansätzen leisten könnte. Außerdem kommt ein Großer aufgrund seiner technologischen und wirtschaftlichen Macht stets als erster aus einer Krise heraus, während der Kleine, sprich: der normale Autor, auf der Strecke bleibt. Piratenromantik, sagen sich die Konzerne, ist etwas für die Dummies, und sollte ein Dotcom oder Assange einmal gefährlich werden, gibt es Gesetze, um ihn zu stoppen.
Fazit: Die Musik der Freiheit spielt an vielen Orten, aber bestimmt nicht im Massenkonsum des Internets. Darauf sollte man sich geistig einstellen. Aber wer’s mag, kann den Konsumkreislauf auch unterstützen und Coca-Cola trinken. Nun sogar mit Musik.