Der Kompositionsunterricht hat keineswegs eine geradlinige Entwicklung, sondern durchläuft verschiedene Phasen, die vom jeweiligen Entwicklungsstand der Studierenden abhängen. Das wurde mir neulich bewusst, als mir ein Student schrieb „Danke, dass du jetzt strenger mit mir bist“. War ich tatsächlich in der Vergangenheit „zu lieb“ gewesen? Mir wurde bewusst, dass ich ganz absichtlich meine Kritik gegenüber diesem Studenten verändert hatte – nicht zufällig war dieser gerade Master-Student geworden. Ich versuche einmal diese drei Phasen, so wie ich sie erlebe, zu beschreiben.
Zu streng oder nicht streng genug?
Phase 1: das „Blühen“
Diese Phase ist die längste und beinhaltet die ersten Kompositionsversuche – vielleicht schon als kleines Kind – dann die Entscheidung, Komposition zu studieren und mehr oder weniger fast das ganze Bachelor-Studium. In dieser Phase versuche ich, die musikalischen Ideen meiner Studierenden möglichst wenig zu kritisieren oder zu hinterfragen, denn jede Idee in dieser Zeit ist kostbar und oft hart errungen. Da die Studierenden in dieser Phase meistens eher unsicher und suchend sind, kommen bei ihnen auf jede Idee 100 Skrupel, da muss ich nicht auch noch weitere Skrupel erzeugen. Natürlich rede ich über handwerkliche Aspekte wie Notation oder Instrumentenkunde und kritisiere diese auch, gerne gebe ich auch musikalische Anregungen, wenn sie etwas noch nicht kennen. Die musikalische Fantasie der Studierenden ist aber für mich heilig. Ich will, dass sie vor allem so viel wie möglich frei drauflos komponieren (man lernt Komponieren nur durch…komponieren) und selbst von ihren eigenen Fehlern lernen, warum soll ich ihre Kreativität also bremsen, indem ich sie viel zu früh in ästhetische Diskussionen verwickle?
Das meiste, was sie schreiben, wird ohnehin mangels Reife in irgendeiner Form derivativ sein. Das macht aber überhaupt nichts, da man durch unbewusste Imitation unglaublich viel lernt. Man erinnere sich an seine eigene kindliche Entwicklung und vielleicht daran, dass man ein Bild gemalt hat, dass bei den Eltern größtes Entzücken ausgelöst hat, das man selbst aber schon nach wenigen Tagen peinlich findet, weil man sich schnell weiterentwickelt hat. Genauso ist es beim Komponieren.
Phase 2: das „Herausfordern“
Wenn die Studierenden ein bestimmtes Handwerk errungen, vielleicht sogar Ansätze eines eigenen Stils haben, ist es an der Zeit, sie herauszufordern. In dieser Phase bin ich vermutlich am kritischsten, denn nun möchte ich, dass sie sich ihre Neugier bewahren, nicht zu früh selbstzufrieden werden und immer wieder hinterfragen, was sie machen. Sie müssen nun auch lernen, ihre eigene Musik erklären und ästhetisch verteidigen zu können, denn genau dies müssen sie auf ihrem späteren Weg in der Musikwelt gewiss tun. Konstruktive Streitgespräche sind hierfür ein wichtiges Mittel – in dieser Phase des Unterrichts stelle ich vor allem kritische Fragen und analysiere gemeinsam mit den Studierenden die möglichen Antworten. Aus dieser Selbsterkenntnis entsteht dann im besten Fall die genauere Definition einer eigenen Ästhetik.
Phase 3: die „kollegiale“
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man als Lehrer die Studierenden loslassen muss. Sie sollen auf keinen Fall eine kleine Kopie ihres Lehrers werden, sondern ihren eigenen Weg gehen. An diesem Punkt versuche ich mich in einen wohlmeinenden Kollegen zu verwandeln, der Ratschläge und Feedback gibt, dies aber nur, wenn es gewünscht ist, und nicht mehr aus einer Position des Lehrenden heraus, sondern aus der Position eines Gegenübers auf derselben Augenhöhe.
Egal in welcher Phase des Unterrichtens ich mich befinde: Immer wieder versuche ich mir bewusst zu machen, dass auch ich von den Studierenden lerne. Sie versuchen Dinge, die ich noch nie versucht habe, sie lernen aus Fehlern, die ich noch nicht gemacht habe. Das zu erleben ist unglaublich wertvoll für mich und einer der Hauptgründe, warum ich unterrichte.
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