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Zum Blind Date in die Elbphilharmonie

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Nachschlag 2016/05
Publikationsdatum
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Hamburger stehen gemeinhin nicht in dem Ruf, sich des Superlativs allzu großzügig zu bedienen. Wenn Christoph Lieben-Seutter die Saison 2016/17 als weltweit einzigartig bezeichnet, dann will das etwas heißen. In der Tat: Neun Jahre nach seinem Amtsantritt als Intendant der Elbphilharmonie kann Lieben-Seutter die Eröffnung des Hauses tatsächlich in Aussicht stellen, mit fixem Termin und gedrucktem Programm und so.

Beim Blättern durch das 200 Seiten starke Saisonbuch entsteht im Kopf mitunter das Bild eines weit geöffneten Schleusentores. Glamour und Geheimtipps, Populäres und Entlegenes, Marathon und Kurzstrecke: Tröpfelten in den sechs Jahren seit dem ursprünglich geplanten Eröffnungstermin hier und da reizvoll kuratierte Kurzfestivals durch das Mauerwerk einer intelligenten, aber doch überwiegend traditionellen Programmgestaltung, so bricht sich jetzt ein Angebot Bahn, so vielfältig und machtvoll wie die Elbe selbst.

Groß, größer, Elbphilharmonie, diese neue Selbstgewissheit ist nach Jahren der Verzagtheit nicht zu überhören. Selbst Olaf Scholz, des Überschwangs sonst unverdächtig, sprach von sich jüngst als Erstem „Bürgermeister der Musikstadt Hamburg“. Ganz im Stillen mag ihn die Euphorie über seine fulminante Olympia-Niederlage hinwegtrösten. Was nichts daran ändert, dass der Musentempel mit 789 Millionen Euro Baukosten auch in dieser finanzieller Hinsicht ein Superlativ bleibt. Ende März hat die Bürgerschaft den Betriebsetat auf umgerechnet 7,2 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt, nun muss Lieben-Seutter liefern. Und das wird er, danach sieht es auf dem buntbedruckten Papier jedenfalls aus. Plötzlich scheinen die Weltstars, die der geplagte Intendant über zahlreiche Terminverschiebungen hinweg bei Laune halten musste, Schlange zu stehen. Anja Harteros und Jonas Kaufmann singen zur Eröffnung die Uraufführung eines Oratoriums von Wolfgang Rihm mit Thomas Hengelbrock und dem frisch in „NDR Elbphilharmonie Orchester“ umgetauften Residenzorchester. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg legen gleich nach mit einem neuen Werk von Jörg Widmann. Mitsuko Uchida spielt das erste Klavier-Recital, Brad Mehldau jazzt, und der Cellist Yo-Yo Ma kommt erstmals seit Menschengedanken wieder nach Hamburg – wie so manches internationale Orchester, für das die Bühne der Laeiszhalle, so sehr auch die Akustik gelobt wurde, je nach Repertoire schlicht zu klein war.

Wichtiger als die großen Namen ist aber die Nachhaltigkeit des Konzepts. Wenn das lange Warten ein Gutes hatte, dann das: Es blieb Zeit für Debatten und inhaltliche Standortbestimmungen, für Fragen wie etwa die, woher in Zukunft das Publikum kommen soll. So zeugt das Wochenende „Salam Syria“ vom Ehrgeiz, ein Programm auf der Höhe der Zeit und für andere als die überbrachten Publikumskreise zu gestalten. Dazu verdreifacht sich das Education-Angebot mal eben auf 1.500 Veranstaltungen. Erfreulich auch die Formate für Klassiknovizen, die der Schulpflicht entwachsen sind. Die heißen „Elbphilharmonie für Einsteiger“ oder gleich „Blind Date“ (Freigetränk inbegriffen) und reißen nicht nur fröhlich Genregrenzen zwischen Klassik und Popularmusik ein, sondern bemühen sich auch sichtlich um Niedrigschwelligkeit. Und dass unter dem Motto „Spiel mit!“ auch Laienformationen auf der Bühne des Allerheiligsten willkommen sind, das gibt es zwar andernorts schon lange, in Hamburg aber ist es eine überfällige Neuerung.

Die Elbphilharmonie werde ein Haus für alle, hatte Lieben-Seutter zu Beginn der Bauzeit gesagt. Angesichts des fortgesetzten Kostendebakels waren die Stimmen, die das Vorhaben als elitär kritisierten, nie ganz verstummt. Da ist es ein kluger Schachzug, einen Teil der begehrten Karten für die Eröffnungskonzerte am 11. und 12. Januar 2017 nicht in den Verkauf zu geben, sondern zu verlosen. Und das reguläre Preisgefüge ist alles andere als exklusiv; für viele Konzerte im Großen Saal sind die günstigsten Karten schon ab zehn Euro zu haben.

Dass die städtisch finanzierten Konzerte auch in der Vergangenheit mit erschwinglicheren Preisen lockten als die privaten Wettbewerber, hat zu Unmut und Begegnungen vor Gericht geführt. Diese Scharmützel hat Lieben-Seutter längst beigelegt. „Kooperationen“ heißt das Zauberwort, was auch immer sich dahinter verbirgt. Sie gehen weiter, wie auch die Konzerte sich nach der Eröffnung am Hafen klug dosiert zwischen alter und neuer Spielstätte verteilen werden.

Ob aus soviel Harmonie mal programmatische Langeweile wird? Vorläufig drängt eine andere Frage: Wo eigentlich sollen Enthusiasten, die das ganze Angebot mitnehmen wollen, in dem Konzerthaus ihre Isomatten ausrollen?

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