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Zum Phänomen „EMI Saves Culture“

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Danke, liebe EMI. Lob an Apple-Chef Steve Jobs. Nachdem ich in den letzten Jahren sieben „EMI Copy Controlled“-CDs durch die Windschutzscheibe geschleudert habe – darunter die großartige „Jane’s Addiction – Stray“ von 2003 – weil mein Auto-CD Spieler „No Disc“ anzeigte, und aus dem gleichen Grund, und zu Recht, Robbie Williams‘ Album „Rudebox“ aus dem linken Fenster feuerte, kippt die EMI den einst teuer verprassten Kopierschutz. Nicht zu vernachlässigen: Die vergeigte Zeit, die Millionen Musikfans damit verbrachten, Programme zu hacken, die den EMI-Schutz knacken könnten und damit vier Gigabyte Speicher auf PCs blockierten, die so vom fixen „Volks-Computer“ zur lahmen Krücke mutierten. Das alles freilich nicht, um illegale Kopien zu verhökern, sondern das Recht zu wahren, legal erworbene Musik überall zu hören. Seitdem krieche ich durch die Straßengräben und treffe Gleichgesinnte mit derselben Frage: Soll die Liberalisierung der Musikrechte Kapitulation vor dem großen Indianer „User“ sein oder Signalwirkung für alle Kulturbranchen haben? Im ersten Fall heißt das: Urheberrechte sind ab sofort wertlos. „Prima“, könnte die Kulturpolizei jubeln. Denn bei Popkünstlern wie Sido oder Bushido war die Substanzlosigkeit sonnenklar. Was soll also passieren, wenn sich deren Kulturkapital ungeschützt fortpflanzt? Unkontrolliertes Gekläffe ist eben Teil der neuen Musikrichtung „FAIB’N’R“ (Free Artifical Improvisation But No Roots). Man müsste eher über sozio-genetische Konsequenzen nachdenken. Quasi als Jugendschutzmaßnahme, denkt man mal an Exoten wie Volksmusik oder Schlager.

Doch bei aller popkulturellen Wertlosigkeit, liebe Kulturpolizei: Die Entwertung der einen Seite betrifft auch die Hochkultur. Dinosaurier der Kultur-Subventionierung werden durch die EMI endgültig ausgerottet. Weil genauso minderwertig und frei zugänglich: zeitgenössische Komponisten, Dirigenten, Orchester und Ensembles. Das freut den Kulturbanausen. Die öffentliche Hand wäre aus dem Zuschuss-Schneider. Die einst Gefütterten könnten alternativen Einsatzbereichen zugeführt werden: ab zur kommunalen Landschaftspflege. Anders ausgedrückt: EMI Kills Culture. Vielleicht erkenne ich aber im Zustand der einsetzenden Panik wegweisende volkswirtschaftliche Theorien des EMI-Modells nicht. Klar doch, die Kopierfreigabe schafft Arbeitsplätze. Kopierportale sprießen aus dem Netzboden. Finanzieren sich mit Werbeeinnahmen. Suchen neue Mitarbeiter. Gerne Quereinsteiger der Phonobranche: Erfahrung unerwünscht, A&Rs bevorzugt. Oder Stichwort „Filmindustrie“. In den Glaskomplexen werden zur Eintrittskarte Camcorder gereicht. Das Abfilmen der Neuerscheinungen spart den Weg nach Tschechien und eliminiert den Tanktourismus. Ich verstehe. Laut EMI muss ich sogar kopieren. Es ist meine Pflicht. Nur so wird Kultur allen zugänglich. Ich fühle mich motiviert. Mein Back-Katalog ist digitalisiert. Günter Grass’ neues Buch gescannt und online. Meine selbst entworfene Automarke heißt Mercedos und mein Modelabel nenne ich Alvin Klein. Fragt sich nur, wer der „primus inter pares“ werden wird. Ich bin bereit. Aber wer rettet die EMI?

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