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Babylonisches Klanggewitter

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Donaueschinger Musiktage 2012: NOWJazz Session „mostly british“
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Wollten die diesjährigen Donaueschinger Musiktage „Akzentuierungen und Interdependenzen von Musik und Maschine“ aufzeigen, so galt diese Devise für die integrierte NOWJazz Session erst recht: „mostly british“, so das Thema, machte mit der Improvisationsszene Großbritanniens bekannt. Dort wurden vor einem halben Jahrhundert entscheidende Wegmarken des europäischen Jazz gesetzt.

Von der Chorus-Routine des traditionellen und der Energiewut des neueren Jazz gelangweilt, machte sich AMM dran, der improvisierten Musik den rhythmischen Puls des Jazz zu nehmen. Das frei improvisierende Ensemble im fruchtbaren Niemandsland zwischen improvisierter und komponierter Musik wurde Kult. Heute ist AMM nur noch ein Duo, dem Gründungsmitglied Eddie Prevost (perc) und John Tilbury (p) angehören. Mit seiner Verfeinerung und extremer Individualisierung der Klangfarbe sowie strenger Reduktion von Tönen produziert es heute noch wesentliche Merkmale britischer Improvisationsmusik, die hierzulande mal spöttisch als „englische Krankheit“ abgetan wurde. 

Von andächtiger Stille, mit der AMM die Kunst des Augenblicks zelebrierte, konnte bei FURT keine Rede mehr sein. Mit tierischem Ernst durchschritten Richard Barrett und Paul Obermayer mit synthetischen Klängen anschließend unsystematisch, aber energiebewusst, einen Klangkosmos, dessen Wesen als babylonisches Klanggewitter wahrgenommen wurde. Wenn sich das Computer-Duo zum Oktett fORCH erweitert, ziehen wieder kompositorisches Denken und leibhaftige Instrumentalisten ein. „Spukhafte Fernwirkung“ ist das Auftragwerk umschrieben, was Informationsübertragung ohne jede zeitliche Verzögerung meint. Tatsächlich aber bringen Barrett und Obermay­er keine Verfremdung von Klängen in Echtzeit, sondern rufen auf ihren drei Computern gespeicherte Sound-Samples ab und modellieren sie nach Belieben. Dabei dienlich sind nicht nur die beiden Vokalisten Ute Wassermann und Phil Minton, die die beiden Pole Komposition und Improvisation gegensätzlich vereinen. Eine weitere ungewöhnliche Farbe bringt Rhodri Davies mit präparierter und elektrischer Harfe ein, auch die beiden Bläser tun ihr Bestes (John Butcher, sax, und Lori Freedman, bcl). Paul Lovens (dr) kommt feinsinnig und konzentriert wie eh daher. Barrett und Obermayer ihrerseits, mit zuckenden Oberkörpern hinter ihren Laptops versteckt, lenken mit gelegentlich hoch erhobenen Armen das Geschehen. Es entstehen abwechslungsreiche Solo-, Duo-, und Trio-Konstellationen, die die Spannung zwischen Struktur und Spontaneität, zwischen Improvisation und Komposition fast mit Händen greifen lassen – „mostly british“ eben.

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