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Der schöne Schrei der Eisprinzessin

Untertitel
Die isländische Popsirene Björk läßt sich nicht von Klischees vereinnahmen
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Ob Björk wußte, was sie hier in Deutschland für nervtötende Fans hat? „Zeit“- und SZ-hörige Pädagogen und Esoterik-Tanten, die sich nach Paolo Conte, Klezmer und Kronos Quartet auch vereinnahmend auf die „Eisprinzessin mit der Wahnsinnsstimme“ geworfen hatten. Vermutlich, denn die aktuelle CD „Homogenic“ wird die Spreu vom Fan-Weizen trennen: Wenn Dir diese Platte von Björk zu stark ist, dann bist Du zu schwach! Björk Gudmundsdottir aus Reykjavík ist eine unprätentiösePerson. In Interviews betont sie glaubhaft und humorvoll, daß sie kein Popstar sei oder sein möchte und daß allein ihre Arbeit zähle. Profi ist Björk, seit sie denken kann: Bereits mit elf Jahren avanciert sie zur singenden Folk-Berühmtheit auf Island, nach Erfahrungen in Avantgarde- und Punkbands gründet sie mit Gleichgesinnten aus dem Isländischen Schriftstellerbund die „Sugarcubes“ und hat 1987 einen ersten Hit in den britischen Independent Charts. Der Melody Maker kürt die Single „Birthday“ zur Platte des Jahres. Spätestens mit „Debut“, ihrer ersten Solo-Platte, ist sie der bekannteste Geheimtip der Popbranche, ihr exotisch-nordisches Aussehen und die perfektionierte Kunst des schönen Schreis läßt JournalistInnen verbale Purzelbäume schlagen; Björk wird – auf der Suche nach dem ewig neuen Trend – als „Psycho Baby“ (zu deutsch: hysterische Ziege) geoutet und muß sich den Vergleich mit künstlerisch durchschnittlicheren Kalibern wie Polly Harvey, Tori Amos oder Courtney Love gefallen lassen. Mit dem zweiten Album „Post“ und der Remix-Zugabe „Telegram“ festigt sie jedoch ihren Anspruch, als Konstante in der internationalen Popszene behandelt zu werden. „Post“ ist zwar postmoderner Eklektizismus, den 1995 die meisten Gruppen schon zugunsten ständig schrammelnder Gitarren über Bord geworfen haben, aber Björk bricht hier – egal ob Big-Band-Begleitung oder Heavy-Metal-Loop – zu neuen Popformaten auf, die sie auf dem Album „Debut“ nur zart angedeutet hat. Die nahtlose Verbindung von isländischen Mythen, elektronischer Musik und konzeptuellen Videos überzeugt selbst Zeitgenossen, die sich mit ihrer unkonventionellen Singkultur nicht auf Anhieb anfreunden können. Diese Stimme wird – wenn sich Björk nicht gerade durch eine Ballade atmet – wie eine Waffe eingesetzt. Sie schreit, preßt, atmet und gibt Geräusche von sich, daß es dem Logopäden graust. Doch nach einer gewissen Eingewöhnungszeit gibt es schillernde Schönheiten zu entdecken, die eben jenseits von Wohltemperierung und standardisiertem Beischlaf-Soul angesiedelt sind. Kennzeichnend für Björks Solo-Platten ist die angestrebte Verschmelzung von Künstlichem und Natürlichem und natürlich auch von Elektronik und Stimme. Trotz ihrer Sugarcubes-Vergangenheit mag Björk E-Gitarren nicht besonders leiden; in einer isländischen Hippie-WG mit Jimi-Hendrix-Dauerbeschallung aufgewachsen, verwendet sie lieber Samples und elektronische Sounds als Grundlage ihrer Klanggemälde. Ein anderes Merkmal ist Björks erfrischende Traditionslosigkeit. Sie hat den Mut, das Genre Popsong jedes Mal neu erschaffen zu wollen. Das gelingt ihr zwar nicht immer, aber auf ihrem neuen Album „Homogenic“ immer öfter. Einheitlich an dieser CD ist vor allem die sparsame und präzise Instrumentation – eine Stimme, ein bißchen Elektronik, ein paar gezielt gesetzte Drumloops und beeindruckende Streichersätze, interpretiert vom Icelandic String Octet. Esoterik-Tanten (siehe oben) sollten aber dennoch nicht frohlocken: ein leicht verdauliches Schmankerl für den Tanzworkshop wie „It’s oh so quiet“ ist diesmal nicht dabei, Björk ist dieses Mal dem abgefahrenen Zeitlupen-Tekkno von Portishead näher als der postmodernen Spielwiese ihres zweiten Albums. „Homogenic“ ist bislang das reifste Album der Künstlerin Björk und ungeeignet für die Vereinnahmung durch Radio oder Girl Power – dafür gibt’s ja die Neue von den Spice Girls! Ein Pop-Songzyklus von seltener Geschlossenheit, Björks „Winterreise“ (dies doch für die Kulturbeflissenen). Felix Janosa

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