Beim jüngsten Jazzfestival Saalfelden hat der französische Geiger Théo Ceccaldi an einem Tag zwei Gesichter gezeigt. Zwei von ziemlich vielen. Um die Mittagszeit improvisierte er im Kunsthaus Nexus als Viertel des portugiesisch-französischen Quartetts „Chamber 4“ noch ohne jede Vorgabe und spielte eher stille, ätherische introvertierte Musik. Abends aber die Kehrtwende – da ließ er im „Congress“ so richtig die Sau raus. Was er in seinem humorvollen Programm „Freaks“ da an Jazz, Rock, Metal, Klassik, Chanson und Schlager lautstark zusammensetzte, ist fast alles so minutiös wie überraschend angelegt – selbst die exaltierten Ausbrüche sind genauestens getimt.
Wer ein wenig in der Vita des 32-jährigen stöbert, weiß, dass der wüste Mix der „Freaks“-Show nicht von ungefähr kommt. Théo Ceccaldi, der aus dem 80 Kilometer südlich von Paris gelegenen Pithiviers stammt, ist der Sohn eines Geigers, der vornehmlich traditionelle Folklore spielte, in der von ihm für Jung und Alt gegründeten Musikschule aber Respekt gegenüber allen Formen von Musik einforderte – bei ihm konnte man Rock, Pop, Klassik, Folklore oder Jazz lernen.
Théo Ceccaldi und sein jüngerer Bruder Valentin (die heute in über einem Dutzend gemeinsamer Projekte zusammen musizieren), haben sich beide sowohl zuhause als auch in Papas Lehranstalt erst am Schlagzeug ausgetobt, ehe sie sich für Streichinstrumente entschieden – Valentin für das Cello, Théo für Geige und Viola.
Heute gilt der wagemutige, unverschämt virtuose Théo Ceccaldi als einer der besten Violinisten des europäischen Jazz. Kunststück, mag da manch einer einwenden – schließlich gibt es kaum welche. Er selbst sieht übrigens Vorteile darin, dass sein Instrument immer noch als Exot in der Jazzlandschaft gilt. „Weil es weder im Rock noch im Jazz viele Geiger gibt, kann man sich seinen eigenen Raum schaffen, seinen eigenen Weg besser finden – denn es fehlen einem die Rollenmodelle. Ich habe eher dadurch gelernt, dass ich mich an anderen Instrumenten orientierte. Ich transkribierte früher hauptsächlich die Soli von Saxophonisten, Gitarristen und Pianisten.“ Dass er so anders spielt, als man es vielleicht von einem Geiger erwartet, mag allerdings auch an den vielen bereits erwähnten stilistischen Grenzüberschreitungen liegen, die er regelmäßig unternimmt. Kann sein, dass er gerade noch rein akustisch spielte und sich irgendwo zwischen Klassik, Neuer Musik und freiem Jazz bewegte, sein Instrument bald darauf dann aber mit diversen Hilfsmitteln pimpt und den freakigen Rocker mit Jazzfaible gibt. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen mit Théo Ceccaldis Beteiligung offenbaren, dass der Franzose irgendwie stets bei sich bleibt und kein Opfer seiner Vielseitigkeit wird, sondern von seinen recht unterschiedlichen Interessen profiziert. In seiner Diskografie finden sich diffizile eigene Werke seines Trios, wohlig-warme Kammermusik, die er mit Daniel Erdmanns „Velvet Revolution“ spielt, avancierte Big-Band-Aufnahmen mit dem Orchestre National de Jazz, Vertracktes mit dem deutsch-französischen Quartett „Qöölp“ und Vieles, das sich musikalisch sehr sehr schwer einordnen lässt. Gut so. Grenzen scheint Théo Ceccaldi nicht zu akzeptieren.
„Gegensätze waren mir stets wichtig“, sagt der kleine Franzose, der nicht nur musikalisch, sondern auch optisch eine echte Erscheinung ist – mit seinem üppigen Bart, der welligen Haartolle, die sich wunderbar fürs Headbanging eignet, den schrägen Klamotten und den stark beringten Fingern. „Von der Klassik habe ich natürlich einen Sinn für die große Form, für die Architektur von Musik entwickelt. Aber ich liebe eben auch die totale Freiheit, die Überraschungsmomente, das Skizzenhafte, das Offene. Darüber hinaus ist es mir wichtig, dauernd neue Musikkulturen kennen zu lernen und Musiker, die andere Orientierungspunkte haben als ich und mir somit etwas beibringen können.“
- Théo Ceccaldi stellt das Programm seines Albums „Freaks – Amanda Dakota“ am 2. November beim Jazzfest Berlin vor