Alle sind so jung – das ist das erste, was einem als Besucher des Festivals der Jazzwerkstatt Bern auf- und einfällt, gerade als Deutscher. Wird doch in der hierzulande aktuell in Gang gekommenen Diskussion um die Zukunft des Jazz wieder regelmäßig die Überalterung des Publikums beklagt. In Bern nun sieht man nicht nur fast ausschließlich junge Musiker, auch das Publikum würde man auf Anhieb einem Alternative-Rock-Konzert zuordnen. Nun ist natürlich auch das Festival noch nicht alt, gerade mal fünf Jahre. Die Idee dazu hatte ein – logischerweise ebenfalls noch recht junges – Musikerdreigestirn, das das Festival gründete und seither leitet.
Noch an der Swiss Jazz School – als erste Einrichtung ihrer Art in Europa noch heute ein klangvoller Name, der jetzt im Zuge des Bolognaprozesses als „Abteilung Jazz“ in der Hochschule der Künste Bern aufgegangen ist – lernten sich seinerzeit der Experimentalsänger Andy Schaerer und der aus Lörrach stammende Saxophonist Benedikt Reising kennen. Der Trompeter Marc Eberle, der zu dem daraus entstehenden Freundeskreis gehörte, übersiedelte indes bald nach Wien, wo er viel mit der dortigen Jazzwerkstatt arbeitete. „Über ihn sind wir auf die Idee gekommen, so etwas auch aufzuziehen“, berichtet Schaerer. Die zwei nahmen den Tenorsaxophonisten Marc Stucki mit ins Boot und legten los. Der aus Wien importierte Werkstattgedanke ist prägend. „Wir kaufen bewusst die Katze im Sack“, erklärt Stucki. „Das Festival soll eine Plattform sein, um unter professionellen Bedingungen vor vollem Haus Projekte auszuprobieren“, ergänzt Scherer. Und auch, wenn das Ganze familiärer ist als anderswo, als eine sich fortschreibende und vernetzende Angelegenheit von Freundschaften und Bekanntschaften: „Auf gar keinen Fall wollen wir, dass sich die Szene jetzt, wo Erfolg und Publikum da sind, nur noch selbst bucht und den Kuchen unter sich aufteilt. Wir wollen schon pflegen, was wir aufgebaut haben, aber es sollen in jedem Jahr auch ein paar Nasen spielen, die man hier noch gar nicht kennt.“ So wie diesmal der Schlagzeuger Kesivan Naidoo und der Bassist Shane Cooper, beide Südafrikaner, die Scherer bei einem Studienaufenthalt in ihrer Heimat kennengelernt und zu denen er seither den Kontakt gehalten hatte.
Natürlich gibt es auch eine amerikanische Connection. Den Kornettisten Josh Berman hat unter anderem die Städtepartnerschaft seiner Heimat Chicago mit Luzern in die Schweiz geweht. Hier spielte er mit seinem Quartett YesYesNoNo störrischen, allerdings auch ziemlich altbackenen und überholt wirkenden Freejazz. Sozusagen als direkter Abgesandter der Jazzwerkstatt Wien reiste der aus Maine stammende Experimentalposaunist Philip Yaeger mit seiner österreichisch-schweizer Formation Lux Obscura an. Zum zweiten Mal in Bern zu Gast war der New Yorker Sänger und Dudelsackspieler (!) Matthew Welch, der mit seiner Allstarband Blarvuster wiederum vielschichtige, ziemlich rockige Klanggebirge auftürmte.
Für schobbernde, schräge Gitarrenriffs war dabei der Berliner Gitarrist Ronny Graupe zuständig, der sich unter anderem mit den Trios Hyperactive Kid und zuletzt Henning Sieverts Symmethree an die Spitze der experimentellen deutschen Gitarristen gesetzt hat. Auch er war schon im vergangenen Jahr da, eigentlich nur mit dem Schlagzeuger Dejan Terzic, um dann aber – der Begriff Werkstatt ist eben Programm – auch sofort bei der Sängerin Efrat Alony eingebaut zu werden, die noch einen Gitarristen brauchte. Heuer war es quasi schon ein Heimspiel: Das Gastspiel hat ihm inzwischen eine Dozentur an der Hochschule Bern eingebracht, etwas, auf das er in der bankrotten Heimat Berlin wohl lange warten müsste.
Womit wir beim Humus des Festivals sind, den es in der Schweiz eben reichlicher gibt als anderswo. Schon die Vielzahl kleiner wie mittlerer Sponsoren, wie sie sich vom Sportartikelladen Olmo oder der Brauerei Felsenau bis zu ProHelvetia, dem Kulturamt der Stadt wie des Kantons und dem Österreichischen Kulturforum auf der kleinen Programm-Broschüre präsentieren, ist beeindruckend. Die „Turnhalle“ im Kulturzentrum PROGR – ein ehrwürdiger klassizistischer Bau mitten in der Altstadt, der früher eine Schule war – ist nun vom dritten Jahr an mit einer galerieartigen Bar oben und bester technisch-akustischer Ausstattung unten zum idealen Ausrichtungsort geworden und sicher mit ein Faktor, warum so viele Junge den Weg zum Festival finden.
Ein anderer ist schon in den ersten Beschreibungen der Musiker und Bands angeklungen: Mit dem Jazzbegriff nimmt man es hier sehr locker. Am Eröffnungsmittwoch standen drei Bands und Programme im Fokus, die man eher für Indie-Rock als für Jazz halten durfte. tatsächlich ist es ja weit interessanter, wichtiger und zukunftsweisender, vielversprechende junge Stimmen wie die von Simone Abplanalp oder von Claire Huguenin zu entdecken oder die ihre heimatliche Klang- mit der Weltkultur verschmelzenden Kompositionen der Pianistin Vera Kappeler, als irgendeinem Stilkorsett zu huldigen. Es gibt eine neue Generation, die es mit der Freiheit des Jazz ernst meint, die die viel zu lange fesselnden Mauern zwischen Pop, Jazz und moderner Klassik ebenso selbstverständlich überwunden hat wie Europa seine Grenzen, und die aufräumt mit dem mitunter von den Altgedienten geäußerten Gedanken, es wäre alles schon gesagt. Und es gibt dafür ein Publikum, sogar ein nachwachsendes. Das ist die Botschaft des Festivals der Jazzwerkstatt Bern.