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Die Jazz-Heroen kommen in die Jahre

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Von Gospel bis Barry Guy – Breites Spektrum beim 35. Jazz Fest Berlin
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Eine Frechheit. Unter der Ägide des Impressarios George Wein hat JVC dem Jazz Fest Berlin, das Anfang November die 35. Ausgabe feierte, ein eigenes Jazz-Festival direkt vor die Nase gesetzt. Solche taktisch durchgeplanten Sünden bestraft der liebe Gott sofort. JVC floppte mit seinen Veranstaltungen im großen Stil und das Jazz Fest, das bereits zum viertenmal unter der Künstlerischen Leitung des Posaunisten Albert Mangelsdorff stand, kam relativ unbeschadet davon. Im Haus der Kulturen der Welt, im Volksmund auch „Schwangere Auster“ oder das „Lächeln Jimmy Carters“ genannt, spielten insgesamt 21 Formationen plus Rahmenprogramm. Eine Frage, die sich die Macher intern stellten, wurde nur mit einem Konzert zufriedenstellend beantwortet: wie schaffen wir es, junge Leute zum Jazz Fest zu holen? Nur beim umjubelten Auftritt von John Scofield mit dem Erfolgstrio Medeski, Martin & Wood sank der Altersdurchschnitt merklich. So alt wie mancher Musiker des Jazz Festes waren allerdings nur wenige Zuhörer: Trompeter und Flügelhornist Kenny Wheeler, der im Januar 69 Jahre alt wird, trat mit einem Vokal-Projekt namens „Mirror“ in Berlin an. Welche Enttäuschung. Biederste, altbackene Ware war das. Zu Wheelers Quartett sangen fünf Gestalten, die nicht einmal in der Lage waren, die meist nur unisono angelegten Parts sauber zu singen. Wenn denn mal so etwas wie ein Arrangement für die Vokalisten vorhanden war, schmierte der Mini-Chor völlig ab. Der Auftritt von Altsaxophonist Charlie Mariano fiel kurz vor seinen 75. Geburtstag. So sehr man sich darüber freuen durfte, daß der Saxophonist nach schwerer Krankheit wieder völlig genesen ist, so sehr muß man bedauern, daß sein „Bangalore“-Projekt, bei dem indische auf westliche Musiker trafen, nur aus einer Anreihung von Klischees bestand. Aus der Versenkung aufgetaucht ist nach mehr als zwanzig Jahren der bereits 72jährige Sänger und Entertainer Oscar Brown Jr. Was für Ausstrahlung der kleine, bärtige Mann doch hat. Wäre er nur nicht von einer solch lausigen Band begleitet worden. Die Einladung für George Gruntz wurde von Teilen der Presse vorher als Politikum betrachtet. Schließlich war der 66jährige Schweizer über zwanzig Jahre Festival-Chef in Berlin. Das Konzert seiner hervorragend besetzten Concert Jazz Band löste aber alle Zweifel bei Kritikern. Im Mittelpunkt stand Rolf Liebermanns „Concerto For Jazz Band And Symphony Orchestra“. Aus der ursprünglichen Partitur machte Gruntz eine ungemein kompakte Fassung mit improvisierten Passagen und nahm dem Zwölftonwerk via Arrangierkunst einen Teil der ursprünglichen Strenge. Drei weitere Big Bands sorgten für Aufsehen: Das London Jazz Composers Orchestra unter der Leitung von Barry Guy verschaffte uns in einem dreiteiligen Konzert die Erkenntnis, daß Free Jazz heute wirklich nicht mehr orthodox sein muß. Etwas großspurig kündigte dann David Murray an, man müsse den Altmeister Duke Ellington, der nächstes Jahr hundert Jahre alt würde, mit modernen zeitgemäßen Mitteln ins neue Jahrhundert hinüberretten. Gemessen an solchen Aussprüchen waren dann seine Arrangements doch etwas zu nah am Original. Daß der Auftritt seiner Big Band dennoch zum Spaß wurde, lag an den wilden Solisten und der hervorragenden Sängerin Carmen Bradford. Auch der Filmkomponist Colin Towns war mit einer Großformation, seinem „Mask Orchestra“, an die Spree gereist. Da trafen messerscharfe Bläsersätze auf wuchtiges Rockschlagzeug. Zu den Highlights gehörte in Berlin das geradezu gespenstisch nuancenreiche Trio des kubanischen Piano-Wunders Gonzalo Rubalcaba. Weitere Höhepunkte: ein Auftritt der in Singer/Songwriter-Tradition stehenden irischen Sängerin Christine Tobin, ein mal wunderschön, mal schön schrill arrangiertes Julian Argüelles Octet und Gebhard Ullmans kunstvoll verzahntes Holzbläserensemble „Ta Lam Zehn“ (plus Akkordeon).

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