Der Posaunist Steve Turré ist ein Innovator von internationalem Format. Unter anderem hat er das Musizieren auf Schneckenhörnern in einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Im Juli wird der 74-Jährige mit der German Jazz Trophy ausgezeichnet.
Mehr als 20 Alben hat der US-amerikanische Posaunist und Schneckenhornist Steve Turré als Bandleader eingespielt, mit „Sanctified Shells“ hat er der Weltmusik eine neue, ozeanische Dimension erschlossen. Im Lauf seiner über 50 Jahre andauernden Karriere hat er mit Größen wie Dizzy Gillespie, McCoy Tyner, J.J. Johnson, Herbie Hancock, Lester Bowie, Tito Puente, Van Morrison, Pharoah Sanders und Horace Silver gearbeitet. Im vergangenen Dezember ist sein jüngstes Album „Generations“ erschienen, im Juli wird er in Stuttgart mit der German Jazz Trophy für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Jazz-Posaunisten von internationalem Renommee gibt es einige. Grenzt man die Suche ein auf solche, die zudem auch Schneckenhörner spielen, präsentiert sich das zuvor noch ganz und gar unübersichtliche Feld mit einem Schlag als komplett überschaubar: Dabei kann es sich im Grunde nur um Steve Turré handeln.
Wer nun wissen will, warum das Musizieren auf Schneckengehäusen mehr ist als eine etwas verschroben wirkende exotische Spielerei, findet auf der Homepage des 1948 in Omaha, Nebraska geborenen Musikers eine Aufzeichnung seines Auftritts beim Chivas Jazz Festival 2001 in São Paulo: absolut frappierend, was Turré seinen verschiedenen, teilweise auch gleichzeitig angeblasenen Naturinstrumenten hier entlockt: Nacheinander klingt sein Spiel, bei dem er auch immer wieder mit einer Hand den Perlmuttschalltrichter dämpft, wie eine Trompete, eine Tabla, ein Didgeridoo, eine Unterhaltung zwischen Freunden in einem Comic, das Signalhorn eines Ozeandampfers – und natürlich auch wie eine Posaune. Die Inspiration dazu kam von Rahsaan Roland Kirk, der auf seiner Suche nach neuen Klangquellen auch mit Schneckenhörnern experimentierte.
Kurz nach Beendigung der Highschool stieß Turré im einflussreichen Club The Jazz Workshop in San Francisco erstmals auf den im Alter von zwei Jahren erblindeten Multiinstrumentalisten. „Es fühlte sich an, als hätten wir schon unser ganzes Leben lang zusammen gespielt – es hat sofort geklickt“, erinnert Turré sich in einem Interview an diese Erfahrung: „Wir atmeten an der gleichen Stelle, wir formulierten intuitiv das Gleiche. Ich war in der Lage, seine Gehirnströme anzuzapfen.“ Diese Begegnung habe sein Leben verändert wie nur noch eine weitere, so der Musiker mit norditalienischen und mexikanischen Wurzeln. Als Mentor habe Kirk ihn nicht nur immer wieder auf der Bühne präsentiert und ihn mit der Technik der Zirkularatmung vertraut gemacht, sondern ihm auch das Bewusstsein dafür geöffnet, dass ihm zwischen Tradition und Moderne, zwischen J.J. Johnson, Curtis Fuller, Julian Priester auf der einen und Kid Ory auf der anderen Seite ein wesentliches Bindeglied fehlte und die Musik von Posaunisten wie Vic Dickenson, Trummy Young, Dickie Wells, J.C. Higginbotham und Jack Teagarden nahegebracht.
Mit seinem präsenten, markanten Spiel konnte Turré sich in der Aufbruchsstimmung im Jazz der frühen Siebziger rasch etablieren, seine Vita liest sich wie ein Who’s Who der damaligen Musikszene: Aufnahmen mit Carlos Santana folgte eine US-Tour mit Ray Charles, 1972 arbeitete er mit Woody Herman, bereits ein Jahr später geht es mit Art Blakeys Jazz Messengers nach New York, im Anschluss mit dem Thad Jones/Mel Lewis Orchestra auf Europatournee. Die zweite prägende Begegnung seines Musikerlebens sei die mit Woody Shaw gewesen, sagt Turré im Rückblick. Der Trompeter hatte ihn schon mit Art Blakey bekannt gemacht, erstmals haben sie 1974 zusammen gespielt, von 1981 bis 1985 war Turré festes Mitglied in Shaws Quintett.
Die Zusammenarbeit mit Slide Hampton, Max Roach und Cedar Walton gab ihm weitere maßgebliche Impulse, nicht zuletzt in Sachen Arrangement – „das war die Vervollkommnung der Blakey-Erfahrung“, meint Turré, der am University of North Texas College of Music ausgebildet wurde und 16 Jahre lang an der Juilliard School unterrichtet hat. Heute lehrt er an der Manhattan School of Music. In der Bay Area in einer musikalischen Familie aufgewachsen – zwei seiner vier Geschwister sind ebenfalls Musiker –, waren Mariachi, Blues und Jazz frühe Begleiter.
Bereits Mitte der Sechziger, noch während Turré die Sacramento State University besuchte (wo er zwei Jahre Musiktheorie belegt hatte), stieg er in der Salsa-Band der Escovedo Brothers ein – das Latin-Genre ist also gewissermaßen der grundlegende Baustein in der musikalischen DNA des Posaunisten. In seiner Zeit in New York habe er regelmäßig das Nuyorican Village in der Lower East Side aufgesucht, um dort zu jammen. Turré ist auf zwei Alben von Jerry Gonzales’ Fort Apache Band zu hören und hat mit allen namhaften Größen wie Celia Cruz, Tito Puente oder Mongo Sanatamaria gearbeitet. Als Mitglied der Saturday Night Live Band von NBC ist der nunmehr 74-Jährige seit 1985 auch einem millionenstarken Fernsehpublikum geläufig.
Mit „Sanctified Shells“ gelang Turré die Gründung eines „Seeschneckenhornchors“ – die gleichnamige Einspielung des Posaunistenquartetts, das sich auf Schneckengehäusen doppelt, entspricht einer Art musikalischer Weltreise: Damit eröffnete Turré der Weltmusik nochmals eine neue, ozeanische Dimension – das einzigartige Projekt war unter anderem beim Monterey Jazz Festival zu erleben. Wiederholt konnte Turré sowohl die Leser- als auch die Kritikerumfragen der Fachpresse in JazzTimes, DownBeat und Jazziz für sich entscheiden. Aktuell ist sein Longplayer „Generations“ erschienen, auf dem er Musiker mehrerer Altersgruppen miteinander in Verbindung bringt. Ganz nach seinem Motto: „mit einem Fuß in der Vergangenheit und einem in der Zukunft“. Am 13. Juli wird Steve Turré mit der German Jazz Trophy, gemeinsam verliehen von der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg, in Kooperation mit neuer musikzeitung in Rahmen der Jazzopen für sein Lebenswerk geehrt.